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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Robespierre interessiert hat, weiter in der Armee behalten wird«, murmelte er. Zum ersten Mal bemerkte ich, dass er Tabak schnupfte. Junot und Marmont kamen täglich, um Napoleone heimlich bei uns zu treffen. Die beiden konnten sich nicht vorstellen, dass man ihn einfach von der Offiziersliste streichen würde. Wenn ich ihn zu trösten versuchte und wiederholte, was Marmont und Junot gesagt hatten, zuckte er jedoch nur verächtlich mit den Achseln. »Junot ist ein Idiot. Treu ergeben, aber ein Idiot«, erklärte er. »Aber Sie sagen doch immer, dass er Ihr bester Freund ist!« »Natürlich. Treu ergeben, geht für mich in den Tod. Intelligenz jedoch gleich null. Ein Idiot.«
    »Und Marmont?«
    »Marmont – das ist etwas ganz anderes! Marmont hält zu mir, weil er glaubt, dass meine italienischen Pläne irgendwann einmal erfolgreich sein müssen. Müssen, verstanden?«
    Und dann kam alles ganz anders, als wir dachten. Gestern Abend saß Napoleone mit uns beim Abendbrot. Plötzlich hörten wir Marschtritte. Napoleone sprang auf und lief zum Fenster, weil er niemals vier Soldaten vorüberziehen sehen kann, ohne herausfinden zu wollen, zu welchem Regiment sie gehören, woher sie kommen, wohin sie marschieren und wie ihr Sergeant heißt. Die Marschtritte verstummten vor unserem Haus, wir hörten Stimmen, dann knirschte der Kiesweg im Vorgarten, schließlich wurde an die Haustür gehämmert. Wir saßen alle wie erstarrt. Napoleone hatte sich vom Fensterabgewandt und blickte wie versteinert auf die Tür. Er hatte die Arme über der Brust gekreuzt, sein Gesicht war sehr weiß geworden. Dann flog die Tür auf, Marie und ein Soldat drängten sich gleichzeitig ins Zimmer. »Madame Clary –«, begann Marie. Der Soldat unterbrach sie. »Hält sich der General Napoleone Buonaparte bei Ihnen auf?« Er schien den Namen auswendig gelernt zu haben, denn er knallte ihn ohne zu stottern hervor. Napoleone löste sich ruhig aus der Fensternische und trat auf ihn zu. Der Soldat schlug die Hacken zusammen und salutierte. »Haftbefehl gegen Bürger General Buonaparte!«
    Gleichzeitig hielt er Napoleone einen Zettel entgegen. Napoleone hielt das Papier nahe vor die Augen, und ich sprang auf und sagte: »Ich hole den Leuchter!«
    »Danke, meine Liebe, ich kann den Befehl sehr gut lesen«, sagte Napoleone. Dann ließ er das Papier sinken, betrachtete aufmerksam den Soldaten, trat plötzlich dicht auf ihn zu und klopfte ihm auf den Knopf unterhalb des Kragens. »Auch an warmen Sommerabenden hat die Uniform eines Sergeanten der republikanischen Armee vorschriftsmäßig zugeknöpft zu sein!« Während der Soldat verlegen an seiner Uniform herumnestelte, wandte sich Napoleone an Marie. »Marie, mein Säbel liegt im Vorzimmer, ich bitte Sie, so freundlich zu sein und ihn dem Sergeanten zu übergeben.« Und mit einer Verbeugung in die Richtung von Mama: »Verzeihen Sie die Störung, Bürgerin Clary!«
    Napoleones Sporen klirrten. Hinter ihm stampfte der Sergeant aus dem Zimmer. Wir rührten uns nicht. Draußen knirschte wieder der Kies im Vorgarten, dann donnerten die Marschtritte über die Straße und verhallten schließlich. Erst jetzt unterbrach Etienne das Schweigen. »Essen wir weiter, wir können nicht helfen …« Sein Löffel klirrte. Beim Braten erklärte mein Bruder bereits: »Washabe ich von Anfang an gesagt? Ein Abenteurer, der mit Hilfe der Republik Karriere machen wollte!« Und beim Dessert: »Julie, ich bereue, meine Einwilligung zu deiner Verlobung mit Joseph gegeben zu haben.« Nach dem Essen schlich ich durch die Hintertür davon. Obwohl Mama mehrmals die ganze Familie Buonaparte eingeladen hat, so waren wir niemals von Madame Letitia zu sich gebeten worden. Ich konnte mir denken, warum. Die Familie wohnt im billigsten Viertel der Stadt, gleich hinterm Fischmarkt, und Madame Buonaparte schämt sich vielleicht, uns ihr armseliges Flüchtlingsheim zu zeigen. Aber nun befand ich mich auf dem Wege zu ihr. Ich musste ihr und Joseph doch mitteilen, was geschehen war, und mit ihnen beraten, was wir unternehmen sollten, um Napoleone zu helfen.
    Ich werde diesen Weg durch die engen dunklen Gassen hinterm Fischmarkt nie vergessen. Zuerst lief ich wie eine Verrückte, mir war, als dürfe ich keine Minute verlieren, ich lief und lief, und erst als ich mich dem Rathausplatz näherte, verlangsamte ich meine Schritte. Mein Haar war schon ganz feucht, und mein Herz hämmerte schmerzhaft. Vor dem Rathaus wurde getanzt, und ein baumlanger Mann im

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