Désirée
Joseph.
»Was macht das schon für einen Unterschied?«, stöhnte Madame Buonaparte. »Einen gewaltigen«, erklärte Joseph. »Die Militärbehörden werden einen General nicht einfach hinrichten lassen, sondern ihn vorher vor ein Militärgericht stellen.«
»Sie wissen gar nicht, wie furchtbar es für uns ist, Signorina«, sagte jetzt Madame Buonaparte zu mir, zog einen Küchenschemel heran, setzte sich dicht neben mich und legte ihre feuchte abgearbeitete Hand auf meine. »Napoleone ist der Einzige von uns, der regelmäßig etwas verdient. Und er war immer so fleißig und sparsam und hat mir die Hälfte von seinem Gehalt für die anderen Kinder gegeben. Es ist ein Jammer, ein großer Jammer …«
»Jetzt kann er mich wenigstens nicht mehr zwingen, in die Armee einzutreten«, ließ sich der dicke Louis vernehmen. Er triumphierte geradezu. »Halt den Mund«, fuhr Lucien den Dicken an. Denn der Dicke hat trotz seiner sechzehn Jahre noch nie etwas gearbeitet, und deshalb wollte Napoleone ihn zum Militär bringen, um der Mutter einen Esser abzunehmen. Ich kann mir nur nicht vorstellen, wie der Louis mit seinen Plattfüßen marschieren soll. Aber vielleicht wollte ihn Napoleone in die Kavallerie stecken.
»Warum hat man ihn aber verhaftet?«, kam es jetzt von Madame Buonaparte.
»Napoleone hat Robespierre gekannt«, murmelte Joseph. »Und seine verrückten Pläne hat er dem Kriegsminister ausgerechnet durch ihn übergeben lassen. Dieser Irrsinn!« Josephs Mundwinkel zuckten nervös. »Politik, immer und immer Politik«, jammerte Madame Buonaparte. »Signorina, ich sage Ihnen, Politik ist das Unglückmeiner Familie! Schon der selige Papa meiner Kinder hat sich immer mit Politik beschäftigt und die Prozesse seiner Klienten verloren und uns nichts als Schulden hinterlassen. Und was höre ich von meinen Söhnen den ganzen Tag? Man muss sich Verbindungen schaffen, man muss Robespierre kennen lernen, man will Barras vorgestellt werden – so geht es ja immerzu. Und wohin bringt das einen?« Wütend schlug sie auf den Tisch: »In den Arrest, Signorina!« Ich senkte den Kopf. »Ihr Sohn Napoleone ist ein Genie, Madame.« »Ja – leider«, antwortete sie ärgerlich und starrte in die flackernde Kerzenflamme. Ich richtete mich auf. »Wir müssen herausfinden, wohin Napoleone gebracht wurde, und dann versuchen, ihm zu helfen«, sagte ich und sah Joseph an.
»Wir sind doch arme Leute, wir haben keine Verbindungen«, lamentierte Madame Buonaparte. Aber ich ließ den Blick nicht von Joseph. »Der Militärkommandant von Marseille muss wissen, wohin Napoleone gebracht wurde«, ließ sich jetzt Lucien vernehmen. Lucien gilt in der Familie als werdender Dichter und ständiger Träumer. Aber gerade von ihm kam der erste praktische Vorschlag. »Wie heißt der Militärkommandant von Marseille?«, fragte ich. »Oberst Lefabre«, sagte Joseph. »Und er kann Napoleone nicht leiden. Napoleone hat erst kürzlich dem Alten seine Meinung gesagt, weil die hiesigen Festungswerke in schauerlicher Verfassung sind.« »Ich werde morgen zu ihm gehen«, hörte ich mich plötzlich sagen. »Madame Buonaparte, bereiten Sie Unterwäsche und vielleicht irgendetwas zum Essen vor und machen Sie ein nettes Paket aus den Sachen und senden Sie es mir morgen früh. Ich werde damit zu diesem Oberst gehen und ihn bitten, es Napoleone zu geben. Und dann werde ich fragen –«
»Grazie tanto, Signorina, grazie tanto«, stieß Madame Buonaparte hervor. Im gleichen Augenblick hörten wireinen Schrei, Wasser spritzte auf, lang gezogenes Geheul folgte, und Caroline jubelte: »Mama, Jérôme ist in den Waschzuber gefallen!« Während Madame Buonaparte ihren Jüngsten zuerst aus dem Waschzuber rettete und dann verhaute, stand ich auf. Joseph verschwand, um sich den Rock zu holen, er wollte mich nach Hause begleiten. Lucien murmelte: »Sie sind sehr gut, Mademoiselle Eugénie, wir werden es Ihnen nie vergessen.« Und ich dachte, dass ich mich entsetzlich davor fürchtete, zu diesem Oberst Lefabre zu gehen. Als ich mich von Madame Buonaparte verabschiedete, versicherte sie mir: »Ich schicke Polette morgen früh mit dem Paket zu Ihnen.« Gleichzeitig fiel ihr ein: »Wo ist denn Polette? Sie wollte doch mit Elisa zu einer Freundin gegenüber gehen und in einer halben Stunde zurück sein. Und jetzt bleiben die beiden Mädchen wieder den ganzen Abend weg!« Mir fiel Elisas geschminktes Gesicht ein. Elisa unterhielt sich wohl mit ihrem Kavalier in einer Taverne. Und
Weitere Kostenlose Bücher