Désirée
Persson angehängt. Für viel Geld natürlich, die Firma Clary hat an dieser Transaktion sicherlich gut verdient. »Es fällt mir ja nicht leicht, mich von diesem Stoff zu trennen«, sagte Etienne treuherzig. »Aber Monsieur Perssons Heimat besitzt einen Königshof, und Ihre Majestät, die Königin von Schweden, wird hoffentlich eine neue Staatsrobe brauchen und Monsieur Persson zum Hoflieferanten ernennen.« »Sie dürfen den Brokat nicht zu lange aufbewahren, Seide bricht«, meldete ich mich, von Kopf bis Fuß die Seidenhändlerstochter Clary. »Dieses Material nicht«, erklärte Etienne. »Es sind zu viele Goldfäden eingewebt.«
Das Paket war recht schwer, und ich hielt es in beiden Armen an die Brust gedrückt. Obwohl es noch früh war, brannte schon die Sonne, und mein Haar klebte feucht an den Schläfen, als ich endlich mit dem Goldbrokat der Firma Clary bei der Postkutsche anlangte. Wir waren ziemlich spät daran und konnten deshalb nicht umständlich Abschied nehmen. Die anderen Passagiere hatten bereits in der Kutsche Platz genommen. Etienne stellte aufatmend die Reisetasche, die er getragen hatte, auf die Zehen einer älteren Dame, und Persson ließ beinahe den Picknickkorb fallen, während er Etienne die Hand schüttelte. Dann verwickelte er sich in eine aufgeregte Diskussion mit dem Postillon, der seine Gepäckstücke auf dem Dach der Kutsche anbrachte, und erklärte ihm, dass er das große Paket nicht aus den Augen lassen wolle und die ganze Zeit über auf dem Schoß halten werde. Der Postillon widersprach, schließlich wurde der Kutscher ungeduldig und schrie: »Alles einsteigen«, der Postillon sprang neben ihn auf denBock und stieß in sein Horn, und Persson stolperte endlich mit seinem Paket in die Kutsche. Der Wagenschlag wurde zugeschlagen, von Persson aber sofort wieder aufgerissen. »Ich werde sie immer in Ehren halten, Mademoiselle Eugénie«, schrie er, und Etienne fragte achselzuckend: »Was meint eigentlich dieser verrückte Schwede?« »Die Menschenrechte«, antwortete ich und wunderte mich, weil meine Augen feucht wurden. »Das Flugblatt, auf dem die Menschenrechte abgedruckt sind.« Gleichzeitig dachte ich, dass sich Perssons Eltern freuen werden, das Pferdegesicht wieder zu sehen, und dass nun ein Mensch auf immer aus meinem Leben verschwindet.
Etienne ging ins Geschäft, und ich begleitete ihn. Im Laden der Seidenwarenhandlung Clary fühlte ich mich ganz zu Hause, Papa hat mich oft als kleines Mädchen mitgenommen und mir stets erklärt, woher die verschiedenen Ballen Seide stammen. Ich kann auch die einzelnen Qualitäten gut voneinander unterscheiden, und Papa sagte immer, dass mir das im Blut liegt, weil ich eine richtige Seidenhändlerstochter bin. Aber ich glaube, es kommt einfach daher, weil ich ihm und Etienne so oft zugeschaut habe, wenn sie ein Stück Stoff zwischen die Finger nahmen und es scheinbar zerkrümelten und dann mit zusammengekniffenen Augen feststellten, ob es sich leicht zerknittern lässt, ob es sich um altes oder neues Material handelt und ob die Gefahr besteht, dass der Stoff schnell brüchig wird. Trotz der frühen Morgenstunde waren schon Kunden im Geschäft. Etienne und ich grüßten höflich, aber ich merkte gleich, dass es sich nicht um wichtige Käufer handelte, sondern nur um Bürgerinnen, die Musselin für ein neues Fichu oder billigen Taft für einen Überrock brauchten. Jene Damen von den Schlössern der Umgebung, die früher stets bei Beginn jeder Saison in Versailles unserer Firma große Aufträge erteilt hatten,lassen sich nicht mehr blicken. Einige sind geköpft worden, viele nach England geflüchtet, die meisten jedoch »untergetaucht«, das heißt, sie leben unter falschem Namen in irgendeinem Ort, in dem man sie nicht kennt. Etienne sagt oft, dass es ein großer Nachteil für alle Gewerbetreibenden ist, dass die Republik weder Bälle noch Empfänge veranstaltet. Daran ist hauptsächlich der schrecklich sparsame Robespierre schuld. Ich drehte mich eine Weile im Geschäft herum und half den Kunden, die verschiedenen Stoffe zu befühlen, und überredete sie, hellgrüne Seidenbänder zu kaufen, weil ich das Gefühl hatte, dass Etienne gerade die gern loswerden wollte. Dann ging ich nach Hause, dachte wie immer an Napoleone und überlegte, ob er sich wohl seine Galauniform anziehen werde, wenn wir Julies Verlobung feiern. Zu Hause fand ich Mama in sehr aufgeregtem Zustand vor. Julie hatte ihr gestanden, dass Joseph nachmittags kommen werde, um mit
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