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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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wieSchluchzen. »Du – ich kann nicht!« Ich legte meine Hände auf seine Schultern. »Und nach der Siegesparade wirst du dich bei der Galavorstellung im Théâtre Français zeigen, Jean-Baptiste. Das schuldest du Schweden. Ich fürchte, du musst jetzt gehen, Liebster!« Er lehnte sich zurück. Sein Kopf lag an meiner Brust, die blassen Lippen waren rissig und zerbissen. »Ich glaube, es gibt während dieser Siegesparade nur noch einen, der so einsam ist wie ich. Und das ist – er.«
    »Unsinn. Du bist nicht einsam. Schließlich bin ich bei dir und nicht bei – ihm. Geh jetzt, deine Herren warten!« Da stand er gehorsam auf und zog meine Hand an seine Lippen. »Versprich mir, dass du dir die Parade nicht ansiehst. Ich möchte nicht, dass du mich – also, dass du mich dabei siehst.« »Natürlich nicht. Ich werde im Garten sein und an dich denken.«
    Als die Glocken zu läuten begannen, setzte ich mich in den Garten. Sie verkündeten den Beginn der Siegesparade und läuteten ununterbrochen, während die siegreichen Truppen unter Führung des Kaisers von Russland, des Kaisers von Österreich, des Königs von Preußen und des Kronprinzen von Schweden mit klingendem Spiel in Paris einzogen. Die Kinder waren mit Madame La Flotte und ihrer Gouvernante in meinem Wagen davongefahren, um zuzuschauen. Im letzten Augenblick stiegen auch noch mein Neffe Marius und Marceline in den Wagen, weiß der Himmel, wie sie alle Platz fanden. Julie lag im Bett und ließ sich von Marie Essigkompressen auf die Stirn legen. Sie war beleidigt, weil Jean-Baptiste vergessen hatte, sie zu begrüßen. Meiner Dienerschaft hatte ich freigegeben. So kam es, dass ich allein im Garten saß und niemand den unerwarteten Besucher ankündigte. Dieser unerwartete Besucher hatte das Haustor offen gefunden, war eingetreten unddurch die beiden leeren Salons gewandert. Schließlich trat er in den Garten. Ich bemerkte ihn nicht, weil ich die Augen geschlossen hielt, um ganz fest an Jean-Baptiste zu denken. Die Champs-Élysées nehmen heute kein Ende, Jean-Baptiste, kein Ende … »Hoheit!«, schrie es durch das Glockenläuten. »Hoheit!« Erschrocken öffnete ich die Augen. Jemand krümmte sich in tiefer Verbeugung vor mir zusammen. Richtete sich dann auf – spitze Nase, kleine Augen mit Pupillen wie Stecknadelköpfe. Den gibt es also auch noch. Als Napoleon entdeckte, dass sein Polizeiminister heimlich mit den Engländern verhandelte, hat er ihn hinausgeworfen. Aber kurz vor der Schlacht bei Leipzig ernannte er Fouché zum Gouverneur italienischer Gebiete, um ihn von Paris zu entfernen. Der ehemalige Jakobiner trug einen bescheidenen Frack und eine sehr große weiße Kokarde. Hilflos wies ich auf die Bank. Sofort saß er neben mir und begann zu reden. Aber seine Worte ertranken im Klang der Glocken. Er schloss dauernd den Mund und lächelte. Ich wandte den Kopf ab. Jean-Baptiste, jetzt kann es nicht mehr lange dauern … Da verstummten die Glocken. »Verzeihung, Hoheit, wenn ich störe –« Fouché hatte ich inzwischen vergessen. Widerwillig sah ich ihn an. »Ich komme im Auftrag Talleyrands zu Madame Julie Bonaparte«, begann er und zog ein Dokument aus seiner Brusttasche. »Talleyrand ist in diesen Tagen sehr beschäftigt, während ich –«, er lächelte beklagend, »– leider sehr viel Zeit habe. Und da ich sowieso Eurer Hoheit wieder einen Besuch abstatten wollte, schlug ich Talleyrand vor, das Dokument mitzunehmen. Es betrifft die Zukunft der Mitglieder der Familie Bonaparte.« Er reichte mir die Abschrift einer langen Urkunde. »Ich werde es meiner Schwester geben«, sagte ich. Er klopfte mit dem Zeigefinger auf das Dokument. »Sehen Sie sich doch die Liste an, Hoheit.« Da stand: »Der Mutter des Kaisers:300000 Francs. Dem König Joseph: 500000 Francs. Dem König Louis: 200000 Francs. Der Königin Hortense und ihren Kindern: 400000 Francs. Dem König Jérôme und der Königin: 500000 Francs. Der Prinzessin Elisa: 300000 Francs. Der Prinzessin Pauline: 300000 Francs.«
    »Jährlich, Hoheit, jährlich!«, erklärte Fouché. »Der Familie des Kaisers werden nämlich Güter oder Renten aus der französischen Staatsschuld gewährt, die ihr diese Summen als Jahreseinkommen sichern. Unsere neue Regierung ist wirklich großzügig, Hoheit.«
    »Wo dürfen die Mitglieder der Familie Aufenthalt nehmen?«
    »Im Ausland, nur im Ausland, Hoheit!«
    Julie, die sich stets außerhalb von Frankreich unglücklich fühlt – Emigrantin. Ihr Leben lang Emigrantin …

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