Désirée
Schicksal bestimmt wird. Übrigens hat er in der Nacht von gestern auf heute versucht, Selbstmord zu begehen.«
»Was?«, riefen sie alle zugleich – Brahe, Löwenhjelm, Stedingk, von Rosen. Nur Jean-Baptiste schwieg. »Der Kaiser hat seit dem russischen Feldzug immer Gift bei sich getragen«, sagte ich und betrachtete die flackernden Flammen. »Heute – oder vielmehr gestern Nacht hat er dieses Gift geschluckt. Sein Kammerdiener hat ihn beobachtet und – ja, und hat sofort Maßnahmen ergriffen. Das ist alles.«
»Welche Maßnahmen?«, fragte Löwenhjelm erstaunt. »Mein Gott, wenn Sie es so genau wissen wollen – Constant, der Kammerdiener, hat dem Kaiser den Finger in den Mund gesteckt, worauf der Kaiser erbrochen hat. Dann hat er Caulaincourt gerufen, und Caulaincourt hat den Kaiser gezwungen, Milch zu trinken. Der Kaiser hat nachher starke Magenschmerzen gehabt, aber heute früh ist er wie gewöhnlich aufgestanden und hat Briefe diktiert.« »Das ist grotesk«, sagte Stedingk und schüttelte den Kopf. »Tragisch und lächerlich zugleich. Den Finger in den Mund gesteckt –! Warum erschießt er sich denn nicht?« Ich schwieg. Jean-Baptiste nagte an seiner Unterlippe und starrte ins Feuer, seine Gedanken schienen weit fort zu sein … Schon wieder diese bleischwere Stille. Brahe räusperte sich. »Hoheit, was die morgige Siegesparade betrifft –« Jean-Baptiste zuckte gequält zusammen. Fuhr sich wieder wie vorhin in meinem Zimmer über die Stirn, sein erloschener Blick veränderte sich, kehrte zu uns zurück, er begann knapp und präzis zu sprechen. »In erster Linie muss jedes etwaige Missverständnis zwischen dem Zaren und mir aufgeklärt werden. Der Zar hat, wie die Herren wissen, von mir erwartet, dass ich gleichzeitig mit den Preußen und Russen über den Rhein gehe. Ich habe damals unsere Truppen nordwärts geführt und an keiner einzigen Schlacht auf dem Boden Frankreichs teilgenommen. Sollten mir dies meine Verbündeten übel nehmen –« Er verstummte. Ich sah Brahe an. Zögernd beantwortete er meine stumme Frage. »Wir sind nämlich wochenlang herumgefahren – ziellos, Hoheit, in Belgien, auch in Frankreich. Seine Hoheit wollte die Schlachtfelder sehen.« Brahe sah mich hilflos an und fügte hinzu: »Seine Hoheit konnte sich zum Einmarsch nur schwer entschließen.«
»In den Dörfern, um die gekämpft worden ist, liegt kein Stein mehr auf dem anderen. So darf man nicht Kriegführen, so nicht …«, sagte Jean-Baptiste zwischen den Zähnen. Da öffnete Löwenhjelm kurz entschlossen das Portefeuille, das er die ganze Zeit herumgetragen hatte. Ein Paket Briefe kam zum Vorschein. »Hoheit, hier habe ich alle Handschreiben des Zaren, die nicht beantwortet worden sind«, sagte er laut. »Es handelt sich vor allem –«
»Sprechen Sie es nicht aus!«, schrie ihn Jean-Baptiste an. So unbeherrscht habe ich ihn noch nie gesehen. Dann beugte er sich wieder vor und starrte in die Flammen. Die Augen der Schweden ruhten auf mir. Ich war ihre letzte Hoffnung. »Jean-Baptiste –«, begann ich. Aber er rührte sich nicht. Da stand ich auf und kniete neben ihm nieder und drückte meinen Kopf an seinen Arm. »Jean-Baptiste, du musst die Herren aussprechen lassen. Der Zar hat dir vorgeschlagen, König von Frankreich zu werden, nicht wahr?« Ich spürte, wie sein Körper steif vor Unwillen wurde. Aber ich gab nicht nach. »Du hast dem Zaren nicht geantwortet. Deshalb wird morgen der Graf von Artois, der Bruder des achtzehnten Louis, in Paris ankommen, um alles für den Einzug der Bourbonen vorzubereiten. Der Zar hat sich den Wünschen der anderen Verbündeten und den Vorschlägen Talleyrands gefügt.«
»Aber der Zar wird nie verstehen, warum ich nicht mit ihm über den Rhein gegangen bin, warum ich nicht auf französischem Boden kämpfte, warum ich auf seinen entscheidenden Vorschlag überhaupt nicht geantwortet habe! Schweden dagegen kann sich ein Zerwürfnis mit dem Zaren nicht leisten – verstehst du das nicht?«
»Jean-Baptiste – der Zar ist doch so stolz darauf, dein Freund zu sein. Und er versteht sehr gut, dass du die französische Krone nicht annehmen kannst. Ich habe ihm alles erklärt.«
»Du – du hast ihm – alles erklärt?« Jean-Baptiste packte meine Schultern und starrte mir ins Gesicht. »Ja, er warnämlich hier, um der Gattin des Siegers von Leipzig seine Aufwartung zu machen.« Wie sie aufatmeten, Jean-Baptiste und seine Schweden … Ich stand auf. »Und jetzt wünsche ich ihnen eine
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