Désirée
Möglichkeit einer Verbindung mit dem Hause Bourbon wurde im »Journal des Débats« angedeutet. Die Aufnahme des ehemaligen Marschalls J. B. Bernadotte in eine der legitimen Dynastien sei nämlich für seine künftige Stellung in Schweden von größter Bedeutung. Die Milch schmeckte gar nicht mehr süß. Und Zeitungen wollte ich auch nicht mehr lesen. Der erste Hofball der Bourbonen fiel mir wieder ein. Wie sonderbar, dass Jean-Baptiste und ich eingeladen worden sind. Das heißt – nein, es ist eigentlich ganz natürlich, schließlich hat Jean-Baptiste eine der drei Armeen kommandiert, die Europa befreit haben. Außerdem ist er der Adoptivsohn des schwedischen Königs. Ob Jean-Baptiste die Einladung angenommen hat? Seit jener ersten Nacht sind wir kaum miteinander allein gewesen. Natürlich habe ich ihn öfters im schwedischen Hauptquartier in der Rue St. Honoré besucht. Vor dem Haus stehen Kanonen. Schwedische Dragoner, schwer bewaffnet, halten Wache. In seinem Vorzimmer fand ich jedes Mal Fouché vor. Und dreimal Talleyrand. Auch Marschall Ney wartete geduldig. Im Salon dagegen schienen Kanzler Wetterstedt, Admiral Stedingk und die schwedischen Generäle ununterbrochen Verhandlungen zu führen. Jean-Baptiste beugte sich über Aktenstücke und diktierte Briefe. Er benutzt noch immer mein Rouge. Heute Nachmittag gaben wir beide in der Rue St. Honoré zu Ehrendes Zaren einen Empfang. Zu meinem Entsetzen brachte der Zar den Grafen von Artois, den Bruder des neuen Königs von Frankreich, mit. Der Graf von Artois hat ein grobes, verbittertes Gesicht und trägt noch eine Perücke. Die Bourbonen versuchen sich nämlich einzureden, dass die Revolution gar nichts verändert hat. Louis XVIII. hat allerdings versprechen müssen, den Eid auf die Gesetze des heutigen Frankreichs abzulegen. Auf den Code Napoleon. Der Graf von Artois stürzte sich auf Jean-Baptiste. »Hoheit, Frankreich ist Ihnen zu ewigem Dank verpflichtet. Lieber Cousin!« Jean-Baptiste wurde weiß unter der Schminke. Schon wandte sich der Bourbon an mich. »Hoheit erscheinen doch heute Abend auf dem Hofball in den Tuilerien?« Ich presste mein Taschentuch an die Nase. »Ich fürchte, mein Frühlingsschnupfen …« Der Zar war schrecklich besorgt und wünschte mir gute Besserung. Und jetzt liege ich im Bett, während sich die Gäste im großen Festsaal in den Tuilerien versammeln und die neuen Vorhänge bewundern, himmelblaue und weiße. Mit Lilien bestickt. Die Hofkapelle stimmt ihre Instrumente. Lauter bekannte Gesichter. Napoleon legte Wert auf gute Ballmusik. Die Flügeltüren werden aufgeschlagen, die Toiletten der Damen rauschen im Hofknicks. Wo bleibt die Marseillaise? Verboten natürlich, verboten … Schwer stützt sich der achtzehnte Louis auf seinen Stock, unter den weißen Kniestrümpfen trägt er Bandagen über den geschwollenen Waden, er leidet an Wassersucht und kann kaum gehen. Müde betrachtet der alte Herr den Saal. Hier also haben die Pariser seinen Bruder mit Füßen getreten, aus diesem Saal haben sie ihn geschleift, aus diesem Saal … jetzt nennt der neue Hofmarschall die Namen der Gäste, der alte Herr hält den Kopf schief, um besser zu hören, zuerst die verbündeten Fürsten, Wir danken ihnen, dass Wir in diesem Saal stehen dürfen, da haben Wir einen gewissenJ. B. Bernadotte, fanatischer Republikaner und Kronprinz von Schweden, umarmen Wir unseren verdienstvollen Cousin, gleich wird der Tanz beginnen, Hoheit … Ich werde aus meinen Gedanken gerissen – gottlob. Jemand kommt die Treppe herauf. Sonderbar, ich dachte, alle sind schon schlafen gegangen. Jemand nimmt zwei Stiegen auf einmal – »Hoffentlich habe ich dich nicht aufgeweckt, kleines Mädchen?« Weder Gala noch Samtmantel. Nur die dunkelblaue Felduniform.
»Du bist doch nicht wirklich krank, Désirée?«
»Natürlich nicht. Und du, Jean-Baptiste –? Der neue König hat dich doch in die Tuilerien eingeladen!«
»Merkwürdig, dass ein ehemaliger Sergeant mehr Taktgefühl hat als ein Bourbone. Findest du nicht?« Pause. »Wie schade, dass du schon im Bett liegst, kleines Mädchen. Ich wollte Abschied nehmen.« Jetzt kommt es. Lieber Gott. Jetzt kommt es. »Ich reise nämlich, morgen früh.« Mein Herz hämmerte in harten Stößen. Schon morgen … »Ich habe meine Aufgabe hier erfüllt und bin siegreich eingezogen – kann man mehr verlangen? Außerdem haben die Kommissare der Alliierten mein Abkommen mit Dänemark unterzeichnet. Die Großmächte anerkennen die
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