Désirée
Augen und war zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich hübsch. Gleich nach der Suppe schlug Onkel Fesch an sein Glas, weil er als ehemaliger Abbé einen furchtbaren Drang verspürte, eine Rede zu halten. Er sprach sehr lange und sehr ernst und sehr langweilig, und da er es für politisch unklug hielt, den lieben Gott zu erwähnen, pries er ausschließlich die »Vorsehung«. Der Vorsehung hatten wir dieses große Glück und dieses gute Mittagessen und dieses harmonische Familienfest zu verdanken, ausschließlich der gütigen, der großen, der alles beherrschenden Vorsehung … Joseph zwinkerte mir zu, und dann lächelte auch Julie, Napoleone begann schließlich zu lachen, und Mamas Augen, die immer feuchter wurden, je länger Onkel Fesch predigte, richteten sich ganz gerührt auf mich. Etienne dagegen warf mir einen verärgerten Blick zu, denn die Vorsehung, die Joseph und Julie zusammengebracht und die Familien Clary und Buonaparte so innig miteinander verbunden hatte, war unzweifelhaft – ich.
Nach dem Braten hielt Etienne eine Rede, die kurz und schlicht war, und nachher ließen wir Julie und Joseph leben. Wir waren bereits bei Maries wundervoller Marzipantorte mit den verzuckerten Früchten angelangt, als plötzlich Napoleone in die Höhe fuhr und, anstatt höflich an sein Glas zu klopfen, einfach »Ruhe einen Augenblick!« donnerte. Wir zuckten wie verschreckte Rekruten zusammen, und Napoleone erklärte in abgehackten Sätzen, dass er glücklich sei, an diesem Familienfest teilnehmen zu können. Dies habe er jedoch nicht der Vorsehung zu verdanken, sondern dem Kriegsministerium in Paris, das ihn ohne Erklärung plötzlich aus der Haft entlassenhätte. Dann machte er eine Pause, um anzudeuten, dass er erwartet hatte, als heimgekehrter und bereits verloren geglaubter Sohn mehr beachtet zu werden, als dies der Fall war. Denn bisher hatten sich alle hauptsächlich um das Brautpaar gekümmert. Nach dieser eindrucksvollen Pause sah er mich an, und ich wusste, was nun kommen würde, und hatte große Angst vor Etienne. »Und deshalb will ich in diesem Augenblick, in dem sich die Familien Clary und Buonaparte zu einem Freudenfest vereint haben, mitteilen, dass –«, seine Stimme wurde sehr leise, aber alle waren so still, dass man deutlich hören konnte, dass sie vor Rührung zitterte, »dass ich heute Nacht um die Hand von Mademoiselle Eugénie angehalten habe und dass Eugénie eingewilligt hat, meine Frau zu werden.«
Vonseiten der Buonapartes brach ein Sturm von Glückwünschen los, und plötzlich fand ich mich in den Armen von Madame Letitia. Aber ich sah zu Mama hinüber. Mama schien wie vor den Kopf geschlagen zu sein und – nein, sie freute sich gar nicht. Sie wandte ihr Gesicht Etienne zu, und Etienne zuckte mit den Achseln. Im gleichen Augenblick trat Napoleone mit einem Glas in der Hand neben ihn und lächelte ihm zu, und es ist seltsam, welche Macht Napoleone über Menschen hat. Denn Etiennes dünne Lippen brachen auseinander, er schmunzelte und stieß mit Napoleone an. Polette umarmte mich und nannte mich Schwester, Monsieur Fesch rief Madame Letitia irgendetwas auf Italienisch zu, und Madame Letitia antwortete beglückt »Ecco!« Ich glaube, dass er sie gefragt hat, ob ich eine ebenso große Mitgift erhalten werde wie Julie. In der allgemeinen Rührung und Aufregung hatte niemand Jérôme beachtet, und der jüngste Buonaparte konnte in sich hineinfuttern, was nur Platz hatte, und nachher noch mehr. Plötzlich hörte ich Madame Letitia aufschreien und sah, wie sie einen käsebleichen Jérômedavonschleppte. Ich führte Mutter und Sohn auf die Terrasse, und dort begann sich Jérôme in einen Springbrunnen zu verwandeln und unglaubliche Mengen von sich zu geben. Dann fühlte er sich wieder wohler, aber wir konnten leider nicht, wie geplant, den Kaffee auf der Terrasse einnehmen.
Julie und Joseph verabschiedeten sich bald und stiegen in ihre geschmückte Kutsche, um in ihr neues Heim zu fahren. Wir begleiteten sie alle bis ans Gartentor, und ich legte den Arm um Mamas Schulter und sagte, es sei kein Grund zu weinen. Dann wurde wieder Likör und Kuchen serviert, und Etienne deutete Onkel Fesch diskret an, dass er keine weiteren Angestellten in der Firma brauche, da er bereits Joseph versprochen habe, ihn und vielleicht auch Lucien ins Geschäft zu nehmen. Schließlich verließen uns alle Buonapartes mit Ausnahme von Napoleone. Wir spazierten im Garten herum, und Onkel Somis, der ja nur bei Hochzeiten und
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