Désirée
davonstürzte, Mama und ihre beiden Trauzeugen im Kielwasser. Julies Trauzeugen sind Etienne und Onkel Somis. Onkel Somis ist ein Bruder von Mama, der bei allen Begräbnissen und Hochzeiten in unserer Familie auftaucht. Auf dem Standesamt warteten Joseph und seine beiden Trauzeugen, nämlich Napoleone und Lucien.
Ich hatte gar nicht richtig Zeit, mich anzuziehen, denn ich war doch auf der Handschuhjagd. Dann stand ich am Fenster unseres Zimmers und schrie Julie »Viel Glück« nach, aber sie hörte mich nicht mehr. Die Kutsche war mitden beinahe verblühten weißen Rosen aus dem Garten geschmückt und sah gar nicht wie ein gewöhnlicher Mietswagen aus.
Ich hatte Etienne so lange gebeten, bis er mir himmelblauen Satin für ein neues Kleid aus dem Geschäft mitbrachte. Und dann hatte ich darauf bestanden, dass Mademoiselle Lisette, unsere Hausschneiderin, die alle unsere Kleider näht, den Rock nicht zu weit zuschneidet. Aber so eng anliegend wie die Röcke der Pariser Modelle ist er leider nicht, und ich bin auch in der Taille abgeschnürt und nicht unterm Busen wie Madame Tallien auf den Bildern, die sie als »Madame de Thermidor«, die Göttin der Revolution, darstellen. Trotzdem finde ich mein neues Kleid großartig und komme mir wie die Königin von Saba vor, die sich für König Salomon herausgeputzt hatte. Aber schließlich bin ich ja auch eine Braut, obwohl Etienne bis jetzt meine Verlobung nur als nächtliche Ruhestörung aufzufassen scheint.
Bevor ich noch wirklich fertig war, kamen sie schon. Die Hochzeitsgäste nämlich. Madame Letitia in Dunkelgrün, das Haar, in dem noch kein Streifen Weiß zu finden ist, schlicht zurückgekämmt und wie eine Bäuerin im Nacken aufgesteckt. Elisa, vierschrötig und bemalt wie ein Zinnsoldat und mit allen Bändern geschmückt, die sie im Laufe der letzten Wochen Etienne abschmeicheln konnte. Polette dagegen eine zierliche Elfenbeinschnitzerei in rosa Musselin. (Wie sie Etienne dazu bekommen hat, ihr diesen modernsten aller Stoffe zu schenken, weiß der Himmel!) Und Louis, ungekämmt und sichtlich schlecht gelaunt, Caroline, frisch gewaschen und sogar ordentlich frisiert, und das entsetzliche Kind, dieser Jérôme, der sofort etwas zu essen verlangte. Suzanne und ich reichten jenen Mitgliedern der Familie Buonaparte, die über vierzehn Jahre alt waren, Likör, und Madame Letitia sagte, sie hätte eine Überraschungfür uns alle. »Ein Hochzeitsgeschenk für Julie?«, erkundigte sich Suzanne. Denn Madame Letitia hatte bisher Julie überhaupt nichts geschenkt. Sie ist ja leider schrecklich arm, aber sie hätte ihr doch wenigstens eine Handarbeit machen können, finde ich. Aber Madame Letitia schüttelte den Kopf, lächelte geheimnisvoll und sagte: »O nein!«
Wir überlegten hin und her, was sie mitgebracht haben könnte. Dann stellte es sich heraus, noch ein Mitglied der Familie Buonaparte! Ihren Stiefbruder. Einen Onkel, der Fesch heißt, erst dreißig Jahre alt ist und früher Pfarrer war. Ein Märtyrer ist dieser Onkel Fesch jedoch nicht, und deshalb hat er sich in diesen antikirchlichen Zeiten von der Religion zurückgezogen und ist Geschäftsmann geworden. »Macht er gute Geschäfte?«, wollte ich wissen. Aber Madame Letitia schüttelte bedauernd den Kopf und deutete an, dass ihr Bruder gewillt sei, eine Stellung in der Firma Clary anzunehmen, falls Etienne sich sehr um ihn bemühen würde. Onkel Fesch selbst erschien kurz darauf, hatte ein rundes, lustiges Gesicht, einen sauberen, aber schäbigen Rock und küsste Suzanne und mir die Hand und lobte unseren Likör. Dann kamen sie! Zuerst fuhr der Wagen mit den halb verblühten weißen Rosen vor, und Julie und Joseph und Mama und Napoleone stiegen aus. In der zweiten Kutsche saßen Etienne, Lucien und Onkel Somis. Julie und Joseph liefen auf uns zu, Joseph fiel seiner Mutter um den Hals, und alle übrigen Buonapartes stürzten sich auf Julie, dann umarmte Onkel Fesch unsere Mama, die keine Ahnung hatte, wer er war, und unser Onkel Somis knallte mir einen Kuss auf die Wange und tätschelte dann Elisa ab, und alle Clarys und alle Buonapartes bildeten einen unentwirrbaren Knäuel und gaben Napoleone und mir eine Chance, uns ganz lange und ganz richtig zu küssen. Bis jemand neben uns empört hustete: Etienne natürlich!
Bei Tisch wurde das Brautpaar von Onkel Somis und Napoleone eingerahmt, während ich mich zwischen Onkel Fesch und Lucien Buonaparte eingeklemmt fand. Julie hatte vor Aufregung rote Wangen und leuchtende
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