Désirée
Madame Tallien Besuch abstattete, so kann ich ihn dort am besten treffen. Und er hat seinerzeit an Joseph geschrieben, dass alle Leute hineinkönnen, weil »Madame de Thermidor« offenes Haus hält. Vor dem Eingang lungerten viele Leute herum, die alle, die sich der Chaumière näherten, kritisch musterten. Aber ich sah weder nach rechts noch nach links, sondern ging geradewegs auf das Tor zu. Ich drückte die Klinke nieder, das Tor öffnete sich, ich trat ein und wurde sofort von einem Lakai eingefangen.
Der trug eine rote Livree mit Silberknöpfen und sah genauso aus wie die Lakaien der adeligen Herrschaften vor der Revolution. Ich habe nicht gewusst, dass sich die Würdenträger der Republik Lakaien in Uniform halten dürfen. Der Abgeordnete Tallien ist übrigens selbst ein ehemaliger Kammerdiener. Der vornehme Lakai musterte mich von oben bis unten und fragte durch die Nase: »Sie wünschen, Bürgerin?«
Diese Frage hatte ich nicht erwartet. Ich stotterte deshalb nur: »Ich möchte – hinein!«
»Das sehe ich«, sagte der Lakai. »Haben Sie eine Einladung?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe gedacht, dass – ja, dass jeder hineindarf …«
»Das möchte dem Dämchen so passen«, grinste der Mann und musterte mich noch unverschämter. »Ihr müsst Euch an die Rue Honoré und die Arkaden des Palais Royal halten, meine Dame!« Ich wurde glühend rot. »Was – was glauben Sie eigentlich, Bürger?«, stieß ich hervor und konnte vor Scham kaum sprechen. »Ich muss hinein, weil ich drinnen jemanden sehen möchte.« Aber er öffnete einfach das Tor und schob mich hinaus. »Auftrag der Madame Tallien – nur Bürgerinnen in Begleitung von Kavalieren sind einzulassen. Oder –« Er warf mir einen verächtlichen Blick zu: »Oder sind Sie vielleicht eine persönliche Freundin von Madame?«
Er drängte mich grob auf die Straße und schlug mir das Tor vor der Nase zu. Nun stand ich zwischen den anderen Neugierigen auf der Straße. Das Tor öffnete und schloss sich ohne Unterbrechungen, aber einige Mädchen hatten sich vor mich gedrängt, und ich konnte die Gäste der Madame Tallien nicht sehen. »Es ist eine neue Verordnung, noch vor einem Monat kamen wir alle glatt hinein«, sagte ein Mädchen mit dick geschminktem Gesicht zu mir und zwinkerte. »Aber irgendeine ausländische Zeitung hat geschrieben, dass es bei der Frau des Abgeordneten Tallien wie in einem Hurenhaus zugeht …« Sie meckerte und zeigte Zahnlücken unter den lila bemalten Lippen. »Ihr ist es ganz egal, aber der Barras hat gesagt, dass man nach außen hin den Schein wahren muss«, bemerkte eine andere, vor der ich erschrocken zurückwich, weil abscheulich eitrige Pusteln im kalkweiß gepuderten Gesicht flimmerten. »Du bist neu, nicht wahr?«, fragte sie mich und betrachtete mitleidig mein altmodisches Kleid. »Der Barras!«, meckerten jetzt die lila Lippen. »Vor zwei Jahren hat er noch der Lucille fünfundzwanzig Francs pro Nacht bezahlt. Heute kann er sich die Beauharnais leisten!« In ihren Mundwinkeln standen widerliche Schaumbläschen.»Diese alte Ziege! Die Rosalie, die vorgestern mit ihrem neuen Freund, dem reichen Ouvrard, drinnen war« – Bewegung mit dem spitzen Kinn nach dem Haus –, »hat mir erzählt, dass sich die Beauharnais jetzt mit einem blutjungen Burschen herumtreibt. Einem Offizier, der Händchen drücken und tief in die Augen sehen will …«
»Dass sich der Barras das gefallen lässt!«, wunderte sich das Pustelgesicht. »Der Barras? Der verlangt sogar, dass sie mit den Offizieren schläft. Der will sich doch mit den Uniformen gut stellen, wer weiß, wann er sie brauchen wird. Außerdem wächst sie ihm wahrscheinlich schon zum Hals heraus – Josephine in Weiß, immer in Weiß. Die alte Ziege mit den großen Kindern …« »Zwölf und vierzehn sind die Kinder, das ist doch kein Alter!«, mischte sich ein junger Mann ein. »Übrigens – die Tallien hat heute wieder im Konvent geredet.« »Was Sie nicht sagen, Bürger!« Die beiden Mädchen wandten sofort ihre ganze Aufmerksamkeit dem jungen Mann zu. Aber der junge Mann beugte sich zu mir hinab: »Sie sind aus der Provinz, Bürgerin? Aber Sie haben wahrscheinlich in den Gazetten gelesen, dass die schöne Theresa die erste Frau ist, die in der Nationalversammlung gesprochen hat. Heute sprach sie über notwendige Reformen in der Erziehung junger Mädchen. Interessieren Sie sich auch für diese Fragen, Bürgerin?« Er roch abscheulich nach Wein und Käse, ich rückte von
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