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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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ihm ab. »Es regnet, wir sollten in ein Kaffeehaus gehen«, sagte das Mädchen mit den lila Lippen und warf dem jungen Mann mit dem scheußlichen Mundgeruch einen auffordernden Blick zu. »Es regnet, Bürgerin«, sagte der junge Mann zu mir. Ja, es regnete. Mein blaues Kleid wurde nass. Außerdem war mir kalt. Der junge Mann streifte wie zufällig meine Hand. In diesem Augenblick wusste ich: Das halte ich nicht länger aus! Gerade rollte wieder ein Mietwagen vor. Mit beiden Ellenbogen puffte ich mich durch dieGruppe und lief wie eine Verrückte auf den Wagen zu und prallte mit einem Offiziersmantel zusammen. Der Mann, der den Mantel trug, hatte soeben den Wagen verlassen. Er war so schrecklich hoch gewachsen, dass ich mein Gesicht heben musste, um seine Züge zu unterscheiden. Aber er hatte den Dreispitz tief in die Stirn gedrückt, und ich sah nur eine mächtig vorspringende Nase.
    »Verzeihen Sie, Bürger«, sagte ich, weil der Riese erschrocken zurückwich, als ich auf ihn losfuhr. »Verzeihen Sie, aber ich möchte gern zu Ihnen gehören!«
    »Was möchten Sie?«, fragte der Riese verblüfft.
    »Ja – ich möchte für einen Augenblick zu Ihnen gehören! Damen dürfen nämlich nur in Begleitung von Kavalieren in das Haus der Madame Tallien. Und ich muss hinein, ich muss – und ich habe keinen Kavalier!« Der Offizier musterte mich von oben bis unten und schien nicht sehr erfreut zu sein. Dann bot er mir mit plötzlichem Entschluss den Arm und sagte: »Kommen Sie, Bürgerin!« Der Lakai im Vorraum erkannte mich sofort. Er warf mir einen empörten Blick zu und nahm dann mit tiefer Verbeugung dem Riesen seinen Mantel ab. Ich stellte mich vor einen der hohen Spiegel, strich meine patschnassen Haarsträhnen aus dem Gesicht und konstatierte, dass meine Nase glänzte. Aber gerade, als ich meine Puderquaste hervorziehen wollte, sagte der Riese ungeduldig: »Nun, sind Sie fertig, Bürgerin?« Ich wandte mich schnell zu ihm um. Er trug eine wunderbar geschneiderte Uniform mit dicken goldenen Epauletten. Als ich mein Gesicht wieder hochreckte, um ihn anzusehen, bemerkte ich, dass der schmale Mund unter der auffallenden Nase missbilligend zusammengekniffen war. Er ärgerte sich sichtlich, weil er nachgegeben und mich mitgenommen hatte. Und mir fiel plötzlich ein, dass er mich wahrscheinlich für eines der Straßenmädchen, die draußen herumlungerten, hielt.»Bitte, entschuldigen Sie, ich wusste keinen anderen Rat«, flüsterte ich. »Benehmen Sie sich drinnen anständig, bitte, blamieren Sie mich nicht«, sagte er streng. Dann machte er eine steife kleine Verbeugung und bot mir wieder den Arm. Der Lakai öffnete eine weiß gemalte Flügeltür. Dann standen wir in einem großen Raum, in dem schrecklich viele Menschen versammelt waren. Ein anderer Lakai schoss vor uns aus dem Fußboden und sah uns fragend an. Mein Begleiter wandte sich mir brüsk zu: »Ihr Name?« Niemand darf wissen, dass ich hier bin, ging es mir durch den Kopf. »Désirée«, flüsterte ich. »Désirée – was weiter?«, fragte mein Kavalier verärgert. Ich schüttelte verzweifelt den Kopf: »Bitte schön – nichts weiter.« Worauf dem Lakai kurz mitgeteilt wurde: »Bürgerin Désirée und Bürger General Jean-Baptiste Bernadotte.«
    »Die Bürgerin Désirée und der Bürger General Jean-Baptiste Bernadotte!«, rief der Lakai aus. Die zunächst Stehenden wandten sich um. Eine schwarzhaarige junge Frau in gelbem Schleiergewand löste sich sofort aus einer Gruppe und glitt auf uns zu. »Diese Freude, Bürger General! Diese reizende Überraschung …«, zwitscherte sie und streckte dem Riesen beide Hände entgegen. Dann glitt ein prüfender Blick aus sehr großen dunklen Augen abschätzend über meine Gestalt und blieb den Bruchteil einer Sekunde an meinen kotigen Schuhen hängen. »Sie sind zu liebenswürdig, Madame Tallien«, sagte der Riese und beugte sich über ihre Hände und küsste – nein, nicht die Hände, sondern das weiße Handgelenk. »Und mein erster Weg – wie immer, wenn einem armen Frontsoldaten ein Aufenthalt in Paris vergönnt ist – in den Bannkreis von Theresa!«
    »Der arme Frontsoldat schmeichelt – wie immer! – und hat bereits Gesellschaft in Paris gefunden …« Wieder glitten die dunklen Augen prüfend über mich hinweg. Ichversuchte, eine Art von Verbeugung zustande zu bringen. Worauf Madame Tallien jedoch den letzten Rest von Interesse an meiner armseligen Persönlichkeit verlor und sich seelenruhig zwischen mich und den

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