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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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General drängte. »Kommen Sie, Jean-Baptiste, Sie müssen Barras begrüßen! Der Direktor sitzt drüben im Gartenzimmer mit der schrecklichen Germaine de Staël – Sie wissen, die Tochter vom alten Necker, die ununterbrochen Romane dichtet –, und wir müssen ihn erlösen, er wird entzückt sein, dass Sie –« Und dann sah ich nur noch den gelben Schleierstoff über ihren völlig nackten Schultern und die Rückseite meines Riesen. Andere Gäste schoben sich dazwischen, und ich stand ganz allein im glitzernden Salon der Madame Tallien. Ich drückte mich in eine Fensternische und suchte mit den Augen den großen Raum ab. Aber ich konnte Napoleon nirgends entdecken. Ich sah zwar eine ganze Menge Uniformen, aber keine sah so schäbig aus wie die meines Bräutigams. Je länger ich hier war, umso tiefer kroch ich in meine Fensternische. Nicht nur mein Kleid war unmöglich, auch meine Schuhe kamen mir lächerlich vor. Die Damen hier trugen nämlich gar keine richtigen Schuhe, sondern nur dünne Sohlen ohne Absätze. Und diese Sohlen waren mit schmalen Gold- oder Silberriemen an den Füßen befestigt und ließen die Zehen sehen, und die Zehennägel waren rosa oder silbrig lackiert. Aus einem der Nebenräume kam Violinmusik, und die rot gekleideten Lakaien balancierten riesige Anrichtetabletts mit Gläsern und Leckerbissen zwischen den Gästen herum. Ich stopfte ein Brötchen mit Lachs in mich hinein, aber es schmeckte mir gar nicht, weil ich so aufgeregt war. Dann stellten sich zwei Herren neben mich in die Fensternische und plauderten, ohne mich zu beachten. Sie sprachen davon, dass das Volk von Paris sich nicht länger die Teuerung gefallen lassen will und dass es zu Unruhenkommen werde. »Wenn ich Barras wäre, würde ich den Pöbel zusammenschießen lassen, lieber Fouché«, sagte der eine und nahm gelangweilt eine Prise. Der andere bemerkte: »Dazu muss er erst jemanden finden, der zum Schießen bereit ist!« Worauf der Erste zwischen zwei Tabaksniesern hervorstieß, dass er den General Bernadotte heute unter den Gästen gesehen habe. Aber der andere, der Fouché hieß, schüttelte den Kopf. »Der? Nie im Leben«, und weiter: »Aber was ist mit dem kleinen Hungerleider, der immer hinter Josephine herläuft?« In diesem Augenblick klatschte jemand in die Hände, und ich hörte Madame Tallien das Stimmengemurmel überzwitschern: »Alle in den grünen Salon – wir haben eine Überraschung für unsere Freunde!«
    Ich schob mich mit den anderen in einen Nebenraum, und dort standen wir dicht gedrängt, und ich konnte nicht sehen, was eigentlich los war. Ich sah nur, dass weißgrün gestreifte Seidentapeten die Wände bedeckten. Champagnerkelche wurden herumgereicht, und ich bekam auch einen, und dann drängten wir uns noch mehr zusammen, um die Frau des Hauses durchzulassen. Theresa ging dicht an mir vorüber, ich sah, dass sie unter den gelben Schleiern gar nichts trug, die tief dunkelroten Spitzen ihres Busens hoben sich deutlich ab – es war sehr unanständig. Sie hatte sich in einen Herrn eingehängt, dessen violetter Frack über und über mit Gold bestickt war und der ein Lorgnon vor die Augen presste und ungemein arrogant aussah. Jemand wisperte: »Der gute Barras wird fett«, und ich erfuhr dadurch, dass einer der fünf Machthaber Frankreichs an mir vorbeiging. »Einen Kreis um das Sofa bilden!«, rief jetzt Theresa, und wir stellten uns gehorsam zurecht. Und dann sah ich ihn.
    Auf dem kleinen Sofa nämlich. Mit einer Dame in Weiß. Er trug die alten ausgetretenen Stiefel, aber neue tadellosgebügelte Hosen und einen neuen Waffenrock. Ohne Rangabzeichen, ohne Orden. Sein mageres Gesicht war nicht mehr braun gebrannt, sondern beinahe krankhaft blass. Er saß ganz steif da und starrte Theresa Tallien an, als ob er von ihr das Heil seiner Seele erwarte. Die Dame dicht neben ihm hatte sich zurückgelehnt und die Arme über die Rückenlehne des Sofas ausgebreitet. Der kleine Kopf mit den winzigen, nach aufwärts gebürsteten Löckchen war in den Nacken zurückgeworfen. Die Augen hielt sie halb geschlossen, auf den Augenlidern lag Silberschminke, ein schmales dunkelrotes Samtband ließ den langen Hals aufreizend weiß erscheinen … Und jetzt wusste ich auch, wer sie war: die Witwe de Beauharnais. Josephine … Die geschlossenen Lippen formten ein spöttisches Lächeln, und wir alle folgten dem Blick ihrer halb geschlossenen Augen. Sie lächelte Barras an. »Habt ihr alle Champagner?« Das war die Stimme der Tallien.

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