Désirée
französischen Republik (das ist dasselbe) zu öffnen. Ein Geschäftsfreund von Etienne hat uns erzählt, dass bei Madame Tallien Ströme von Champagner fließen und die Salons von Kriegsgewinnlern wimmeln und von Häuserspekulanten, die alle vom Staate konfiszierten Adelspalais billig kaufen und schrecklich teuer an die Neureichen weiterverkaufen. Dort kann man auch sehr amüsante Damen treffen, die mit Madame Tallien befreundet sind. Die schönsten Frauen sind jedoch Madame Tallien selbst und Josephine de Beauharnais. Madame de Beauharnais ist die Geliebte von Barras und trägt immer ein schmales rotes Band um den Hals, um zu zeigen, dass sie mit einem »Opfer der Guillotine« verwandt ist. Das ist heute keine Schande mehr, sondern gilt als sehr vornehm. DieseJosephine ist nämlich die Witwe jenes Generals de Beauharnais, der enthauptet wurde, und daher eine ehemalige Gräfin. Mama hat Etiennes Freund gefragt, ob es denn gar keine anständigen Frauen mehr in Paris gibt. Worauf Etiennes Freund sagte: »Das schon. Aber die sind sehr teuer!« Und dann hat er gelacht, und Mama hat mich sofort ersucht, ihr aus der Küche ein Glas Wasser zu bringen.
Napoleone erschien nun eines Nachmittags bei den Damen Tallien und de Beauharnais und stellte sich vor. Beide fanden es abscheulich vom Kriegsminister, dass man ihm weder ein Oberkommando noch neue Hosen geben wollte. Und beide versprachen, ihm zumindest die neuen Hosen zu verschaffen. Aber er müsse seinen Namen verändern. Napoleone setzte sich sofort hin und schrieb an Joseph: »Übrigens habe ich mich entschlossen, meinen Namen zu verändern, und rate dir, das Gleiche zu tun. Niemand in Paris kann Buonaparte aussprechen. Ich nenne mich nunmehr Bonaparte. Und Napoleon an Stelle von Napoleone. Bitte meine Briefe demgemäß zu adressieren und der ganzen Familie meinen Entschluss mitzuteilen. Wir sind französische Bürger, und ich will einen französischeren Namen als den meinen ins Buch der Geschichte schreiben.« Also: nicht mehr Buonaparte, sondern Bonaparte. Seine Hosen sind zerrissen, die Uhr des Vaters versetzt, aber er denkt noch immer daran, Weltgeschichte zu machen. Joseph, dieser Affe, nennt sich natürlich auch Bonaparte. Ebenso Lucien, der eine Stellung in St. Maximin als Verwalter eines Militärdepots erhalten hat und beginnt politische Artikel zu schreiben. Dagegen geht Joseph manchmal auf Geschäftsreisen für Etienne. Er bringt ganz gute Abschlüsse zustande, und Etienne sagt, dass er in den Provisionen gut verdienen muss. Joseph kann aber nicht leiden, dass man ihn einen Geschäftsreisenden der Seidenwarenbranche nennt. Seit ein paar Monaten bekomme ichnur noch selten Briefe von Napoleon. An Joseph schreibt er jedoch zweimal in der Woche. Dabei habe ich ihm endlich das Porträt schicken können, um das er mich kurz nach seiner Abreise gebeten hat. Es ist ein schauerlich schlechtes Bild. Ich habe doch keine so nach aufwärts strebende Nase! Aber ich musste den Maler im Voraus bezahlen, und deshalb nahm ich auch das Bild und schickte es nach Paris. Napoleon hat nicht einmal gedankt. Seine Briefe sagen mir gar nichts mehr. Sie beginnen wie immer mit »Mia Carissima« und enden damit, dass er mich an sein Herz drückt. Kein Wort, wann wir heiraten sollen. Kein Wort, dass er daran denkt, dass ich in zwei Monaten sechzehn Jahre alt werde. Kein Wort, dass ich, wo immer er auch ist, zu ihm gehöre. Seinem Bruder Joseph dagegen erzählt er seitenlang von den eleganten Damen in den Salons der Madame Tallien. »Ich habe einsehen gelernt, welche Rolle wirklich bedeutende Frauen im Leben eines Mannes spielen können«, versicherte Napoleon eifrig seinem Bruder, »Frauen mit Erfahrung, Frauen voll Verständnis, Frauen der großen Welt …« Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich über diese Briefe an Joseph kränke.
Vor einer Woche hat sich Julie entschlossen, Joseph auf eine längere Geschäftsreise zu begleiten. Und da zum ersten Male eines von ihren Kindern richtig verreisen sollte, musste Mama furchtbar weinen, und Etienne schickte sie auf einen Monat auf Besuch zu ihrem Bruder, dem Onkel Somis, um sie abzulenken. Mama packte sieben Reisetaschen, und ich brachte sie zur Postkutsche. Onkel Somis wohnt vier Stunden von Marseille entfernt. Gleichzeitig entdeckte Suzanne, dass sie eine »angegriffene Gesundheit« habe, und gab keine Ruhe, bis Etienne mit ihr in einen Badeort fuhr. So kam es, dass ich plötzlich ganz allein mit Marie zurückblieb. Die Entscheidung
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