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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Die schmale Gestalt in Weiß streckte eine Hand aus, jemand reichte ihr zwei Gläser, eines hielt sie Napoleon entgegen. »General – Ihr Glas!« Jetzt galt ihr Lächeln ihm. Ein sehr vertrauliches, etwas mitleidiges Lächeln.
    »Bürger und Bürgerinnen, meine Damen und Herren – ich habe die große Ehre, unserem Freundeskreis eine Mitteilung zu machen, die unsere geliebte Josephine betrifft …« Wenn Theresa laut sprach, klang ihre Stimme schrill. Wie sie diese Szene genoss! Sie stand ganz dicht vor dem Sofa und hielt ihr Glas hoch erhoben. Napoleon war aufgestanden und blickte sie tödlich verlegen an, Josephine dagegen hatte den kindlichen Lockenkopf mit den silbernen Augenlidern wieder in den Nacken geworfen. »Unsere geliebte Josephine hat sich nämlich entschlossen, wieder in den heiligen Stand der Ehe –« Unterdrücktes Kichern flatterte auf, Josephine spielte zerstreut mit dem roten Samtband um den Hals – »Ja, in den heiligen Stand der Ehezu treten und –« Theresa machte eine Kunstpause, sah Barras an, Barras nickte – »– und hat sich mit Bürger General Napoleon Bonaparte verlobt.«
    »Nein …«
    Ich hörte den Schrei ebenso wie alle anderen. Gell zerschnitt er den Raum, hing abgerissen in der Luft, gefolgt von eisiger Stille. Erst in der nächsten Sekunde erfasste ich, dass ich es war, die geschrien hatte. Aber da stand ich schon vor dem Sofa. Sah Theresa Tallien erschrocken zur Seite weichen, spürte ihr süßliches Parfüm, spürte auch, wie die andere – die Frau in Weiß auf dem Sofa – mich anstarrte. Ich selbst aber sah nur Napoleon. Seine Augen waren wie aus Glas, durchscheinend und ausdruckslos. An der rechten Schläfe pochte eine Ader. Eine Ewigkeit standen wir einander gegenüber – er und ich. Aber vielleicht war es nur der Bruchteil einer Sekunde. Erst dann sah ich die Frau an.
    Silbern glitzernde Augenlider, winzige Fältchen um die Augenwinkel, tiefrot gemalte Lippen. Wie ich sie hasste! Mit einem Schwung warf ich ihr mein Champagnerglas vor die Füße. Der Champagner spritzte auf ihr Kleid, sie quietschte hysterisch … Ich lief eine regennasse Straße entlang. Lief und lief. Wusste nicht, wie ich aus dem grünen Salon und dem weißen Salon und dem Vorraum gekommen war, vorbei an Gästen, die entsetzt vor mir zurückwichen, und an Lakaien, die mich am Arm zu packen versuchten. Weiß nur, dass mir plötzlich nasse Dunkelheit entgegenschlug und ich eine Häuserreihe entlanglief und dann in eine andere Straße einbog, dass mein Herz im Halse schlug und ich instinktiv wie ein Tier die Richtung fand, die ich suchte. Und dann war ich auf einem Quai, lief und stolperte durch die Nässe, glitt aus, lief weiter und erreichte die Brücke. Die Seine, dachte ich, jetzt ist alles gut … Und dann ging ich langsam über die Brücke und lehntemich an die Brüstung und sah im Wasser viele Lichter tanzen – auf und ab sprangen sie, es sah so fröhlich aus. Ich beugte mich weiter vor, die Lichter tanzten mir entgegen, der Regen rauschte, ich war so allein wie noch nie in meinem Leben. Ich dachte an Mama und Julie und dass sie mir verzeihen werden, wenn sie alles erfahren. Napoleon wird wahrscheinlich noch heute Abend an Joseph oder seine Mutter schreiben, um von seiner Verlobung zu berichten. Das war der erste geordnete Gedanke in mir. Er tat so weh, dass ich es nicht aushalten konnte. Deshalb legte ich die Hände auf die Brüstung und versuchte, mich hochzustemmen – und …
    Ja, in diesem Augenblick packte mich jemand mit eisernem Griff an der Schulter und riss mich zurück. Ich versuchte, die fremde Hand abzuschütteln, und schrie: »So lasssen Sie mich doch! Lassen Sie mich!« Aber ich wurde nun an beiden Armen gepackt und von der Brüstung gezerrt. Da schlug ich mit den Füßen aus, um mich zu wehren. Obwohl ich alle Kräfte zusammennahm, um mich loszureißen, wurde ich doch fortgeschleppt. Es war so finster, dass ich nicht einmal sehen konnte, wer mich schleppte. Ich hörte mich vor Verzweiflung schluchzen und keuchen, und ich hasste die Männerstimme, die das Regenrauschen übertönte: »Nur ruhig, machen Sie keine Dummheiten, hier steht mein Wagen!« Auf dem Quai hielt ein Wagen. Ich wehrte mich verzweifelt, aber der Fremde war viel stärker als ich und schob mich hinein. Dann setzte er sich neben mich und rief dem Kutscher zu: »Fahren Sie – gleichgültig wohin, aber fahren Sie!«
    Ich rückte so weit wie möglich von dem Unbekannten ab. Plötzlich bemerkte ich, dass meine

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