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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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sie Rue de la Victoire.
    Es ist ganz unglaublich, wie viele Menschen sich gestern in dieses kleine und recht unansehnliche Haus, in dem es außer dem Speisezimmer nur zwei winzige Salons gibt, hineinpressten. Wenn ich an all die Gesichter und all die Stimmen zurückdenke, wird mir noch jetzt ganz wirr zumute. Den ganzen Morgen machte Julie mich geradezu krank, weil sie mich fortwährend zärtlich besorgt fragte:»Bist du aufgeregt? Fühlst du noch etwas für ihn?« Ich war aufgeregt, aber ich wusste nicht, ob ich noch etwas für ihn fühlte. Wenn er lächelt, kann er mit mir machen, was er will, dachte ich. Und ich klammerte mich an den Gedanken, dass er und Josephine noch immer wütend auf mich sein würden, weil ich damals die Szene bei der Tallien gemacht habe. Er kann mich nicht mehr ausstehen und wird mich daher auch nicht anlächeln, überlegte ich immer wieder und hoffte beinahe, dass er mich hasste. Ich hatte ein neues Kleid und zog es natürlich an. Es war ein gelbes Kleid mit einem rosa Untergewand, und als Gürtel benutzte ich eine Bronzekette, die ich in einem Antiquitätenladen in Rom gefunden habe. Vorgestern habe ich mir übrigens die Haare abschneiden lassen. Josephine war seinerzeit die erste Pariserin mit kurzen Haaren, aber jetzt ahmen alle Modedamen ihre nach oben gebürsteten Kinderlöckchen nach. Mein Haar ist zu schwer und zu dicht dazu, ich habe leider keine eleganten Lockenringel, aber ich bürste die kurzen Haare hinauf und halte sie mit einem Seidenband hoch. Ich kann mich noch so bemühen, neben Josephine werde ich wie ein Provinztrampel aussehen, dachte ich. Das neue Kleid ist sehr tief ausgeschnitten, aber ich muss mir längst keine Taschentücher mehr in den Ausschnitt stopfen, im Gegenteil, ich habe mir vorgenommen, weniger Süßigkeiten zu essen, ich werde sonst zu dick. Aber meine Nase strebt noch immer nach aufwärts, und das bleibt schon so bis an mein Lebensende. Das ist jetzt besonders traurig, weil man seit der Eroberung Italiens für »klassische Profile« schwärmt.
    Wir fuhren um eins in die Rue de la Victoire und traten in den ersten kleinen Salon, in dem es von Bonapartes bereits wimmelte. Obwohl Madame Letitia und ihre Töchter jetzt auch in Paris leben und alle Familienmitglieder oft zusammen sind, so begrüßen sich die Bonapartes beijedem Wiedersehen stets mit schmatzenden Küssen. Ich wurde zuerst an Madame Letitias Busen gedrückt und dann von Madame Leclerc stürmisch umarmt. Madame Leclerc, die kleine Polette, die vor ihrer Hochzeit erklärt hat: »Leclerc ist der einzige Offizier in unserem Umgangskreis, in den ich absolut nicht verliebt bin.« Aber Napoleon fand, dass sie durch ihre vielen Liebeleien den Ruf der Familie Bonaparte schädigen könnte und bestand auf der Hochzeit. Leclerc ist kurzbeinig, korpulent und sehr energisch, er lacht niemals und sieht viel älter als Polette aus. Auch Elisa – bemalt wie ein Zinnsoldat – mit ihrem Bacciochi-Gatten war da und prahlte mit der großen Stellung, die Napoleon ihrem musikalischen Mann in einem der Ministerien verschafft hat. Caroline und Josephines Tochter, die blonde eckige Hortense, hatten die Erlaubnis bekommen, ihr vornehmes Mädchenpensionat auf einen Tag zu verlassen, um dem siegreichen Bruder respektive Stiefvater viel Glück für seine Reise zu den Pyramiden zu wünschen. Nun kauerten sie gemeinsam auf einem winzigen zerbrechlichen Stuhl und kicherten über Madame Letitias neues Brokatkleid, das an die Vorhänge im Speisezimmer erinnerte. Zwischen all den lauten und ständig aufgeregten Bonapartes fiel mir ein schmaler blonder und noch ganz junger Mann in Uniform mit Adjutantenschärpe auf, der blauäugig und etwas hilflos die schöne Polette anstarrte. Ich fragte Caroline, wer das sei, und sie erstickte beinahe vor Kichern, bevor sie hervorbrachte: »Napoleons Sohn!« Der junge Mann schien meine Frage erraten zu haben, denn er drängte sich zu mir durch und stellte sich verlegen vor: »Eugène de Beauharnais, Personaladjutant des Generals Bonaparte.« Die Einzigen, die bisher noch nicht zum Vorschein gekommen waren, waren unsere Gastgeber: Napoleon und Josephine. Endlich wurde eine Tür aufgerissen, und Josephine steckte den Kopf herein und rief:»Verzeiht, meine Lieben, bitte verzeiht – wir sind eben erst nach Hause gekommen! Joseph, bitte kommen Sie einen Augenblick, Napoleon möchte mit Ihnen sprechen … Macht es euch inzwischen bequem, meine Lieben, ich komme sofort!« Weg war sie. Joseph folgte

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