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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Lawine über uns herein. Sie verlangten, dass sich Jean-Baptiste an die Spitze der Nationalgarde stellen und Napoleon den Zutritt zum Rate der Fünfhundert verweigern sollte. »Der Befehl dazu muss von der Regierung ausgehen«, beharrte Jean-Baptiste. In die Diskussion platzten mehrere Gemeinderäte – dieselben, die schon früher bei uns gewesen sind – und stellten dasselbe Ansinnen! Jean-Baptiste erklärte ihnen seine Einstellung: »Ich kann doch nicht auf Befehl des Gemeinderates von Paris handeln. Und auch nicht auf den meiner Kameraden, lieber Moreau. Eine Vollmacht der Regierung oder, wenn die Direktoren nicht amtieren, eine des Rates der Fünfhundert.« Am späten Nachmittag sah ich Jean-Baptiste zum ersten Mal in Zivil. Er trug einen dunkelroten Rock, der ihm zu eng und zu kurz zu sein schien, und einen komischen hohen Hut undein kunstvoll geknüpftes gelbes Halstuch. Mein General sah wie verkleidet aus. »Wohin gehst du?«, wollte ich natürlich wissen.
    »Spazieren«, sagte Jean-Baptiste, »nur spazieren.«
    Jean Baptiste muss viele Stunden spazieren gegangen sein, am Abend tauchten Moreau und seine Freunde wieder auf und warteten auf ihn. Stockdunkel war es, als er endlich zurückkehrte. »Nun?«, wollten wir alle wissen. »Ich war beim Luxembourg und bei den Tuilerien«, berichtete Jean-Baptiste. »Größere Truppenansammlungen beherrschen das Straßenbild, aber überall herrscht Ruhe. Es dürften hauptsächlich Soldaten der ehemaligen Italienarmee sein, ich habe einige Gesichter erkannt.« – »Napoleon wird ihnen wahrscheinlich Versprechungen machen«, sagte Moreau. Jean Baptiste lächelte bitter: »Diese Versprechungen hat er ihnen längst durch ihre Offiziere gemacht. Sie sind ja plötzlich alle wieder in Paris – Junot, Masséna, Murat, Marmont, Leclerc, der ganze Kreis um Bonaparte.« – »Glauben Sie, dass diese Truppen bereit sind, gegen die Nationalgarde zu marschieren?«, überlegte Moreau. »Sie denken nicht daran«, sagte Jean-Baptiste. »Ich war ein neugieriger Zivilist und habe mich lange mit einem alten Sergeanten und einigen seiner Leute unterhalten. Die Soldaten glauben, dass Bonaparte mit dem Kommando über die Nationalgarde betraut wurde. Das haben ihnen ihre Offiziere eingeredet.« Moreau fuhr auf: »Das ist die gemeinste Lüge, die mir untergekommen ist!« – »Ich glaube, dass Bonaparte morgen von den Abgeordneten das Kommando über die Nationalgarde verlangen wird«, meinte Jean-Baptiste ruhig. »Und wir bestehen darauf, dass Sie dieses Kommando mit ihm teilen!«, schrie Moreau. »Sind Sie bereit dazu?« Jean Baptiste nickte: »Legt dem Kriegsminister folgenden Beschluss vor: Erhält Bonaparte den Befehl über die Nationalgarde, so hatBernadotte als Vertrauensmann des Kriegsministeriums diesen mit ihm zu teilen.«
    Schlaflos lag ich die ganze Nacht. Von unten drang Stimmengewirr herauf. Das helle zornige Organ Moreaus, die Bassorgel Sazzarins. Das war gestern. Mein Gott, erst gestern … Im Laufe des heutigen Tages trafen unentwegt Boten bei uns ein. Offiziere aller Rangklassen, dann ein Rekrut. Der Rekrut sprang schweißüberströmt vom Pferde und schrie. »Bonaparte ist Erster Konsul – Erster Konsul!«
    »Setzen Sie sich, Mann«, sagte Jean-Baptiste ruhig. »Désirée, gib ihm ein Glas Wein!« Noch bevor sich der Mann so weit beruhigt hatte, um geordnet sprechen zu können, stürzte bereits ein junger Kapitän in den Raum: »General Bernadotte, die konsuläre Regierung wurde soeben ausgerufen. Bonaparte ist Erster Konsul!« In den Vormittagsstunden war Napoleon zuerst im Rat der Alten erschienen und hatte um Gehör gebeten. Der Rat der Alten, der hauptsächlich aus würdigen und chronisch verschlafenen Juristen besteht, hatte gelangweilt seiner aufgeregten Rede gelauscht. Napoleon faselte von einem Komplott gegen die Regierung und verlangte, dass ihm in dieser Stunde der Not unumschränkte Vollmachten erteilt würden. Der Vorsitzende des Rates setzte ihm in gewundener Rede auseinander, dass er sich mit der Regierung ins Einvernehmen setzen müsse. Von Joseph begleitet, begab sich Napoleon in den Rat der Fünfhundert. Dort war die Stimmung ganz anders. Obwohl jeder einzelne Abgeordnete wusste, was das Auftauchen Napoleons bedeutete, hielt man sich zuerst krampfhaft an die Tagesordnung. Plötzlich jedoch zerrte der Vorsitzende des Rates der Fünfhundert – der junge Jakobiner Lucien Bonaparte – seinen Bruder auf die Tribüne. »General Bonaparte hat eine für die

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