Désirée
neue Kerzen in die Leuchter, es war plötzlich sehr hell im Zimmer. Julie trug ihr rotes Abendkleid und schien zu viel Champagner getrunken zu haben. Kleine rote Flecken brannten auf ihren Wangen, und sie kicherte so sehr, dass sie kaum sprechen konnte. Es stellte sich heraus, dass alle drei aus den Tuilerien kamen. Die ganze Nacht lang hatte man dort beraten, hatte Einzelheiten der neuen Verfassung festgelegt und eine vorläufige Ministerliste entworfen. Zuletzt hatte Josephine, die in den ehemaligen Königsgemächern ihre Koffer auspackte, erklärt, nun müsse richtig gefeiert werden. Und Julie und Madame Letitia und Napoleons Schwestern waren von Staatskaleschen abgeholt worden, und Josephine hatte einen Saal in den Tuilerien festlich beleuchten lassen und – »Wir haben schrecklich viel getrunken, aber es ist doch auch ein großer Tag, Napoleon wird Frankreich regieren, und Lucien ist Innenminister geworden, und Joseph soll Außenminister werden, er steht zumindest auf der Liste –«, plapperte Julie. »Und du musst verzeihen, dass wir euch aufgeweckt haben, aber als wir aneurem Haus vorbeifuhren, sagte ich, wir könnten eigentlich Désirée und Jean-Baptiste guten Morgen wünschen.«
»Du hast uns nicht aufgeweckt, wir haben nicht geschlafen«, sagte ich. »– und den drei Konsuln wird ein Staatsrat zur Seite stehen, dem in erster Linie Sachverständige angehören werden. Sie dürften in den Staatsrat berufen werden, Schwager Bernadotte«, hörte ich Joseph sagen. »Josephine will die Tuilerien neu möblieren«, sagte Julie. »Ich kann es verstehen, alles wirkt so verstaubt und altmodisch, ihr Schlafzimmer soll weiß tapeziert werden –« Julie redete ununterbrochen. »Und stell dir vor, er verlangt, dass sie sich mit einem richtigen Hofstaat umgibt, sie soll eine Vorleserin engagieren und drei Gesellschaftsdamen, die in Wirklichkeit den Dienst von Hofdamen versehen werden. Das Ausland soll nämlich sehen, dass die Frau unseres neuen Staatsoberhauptes zu repräsentieren versteht.« »Ich bestehe auf der Freilassung des Generals Moreau«, erklärte Jean-Baptiste. »– und versichere Ihnen, Schutzhaft und nichts weiter. Um Moreau vor Übergriffen des Pöbels zu schützen. Man weiß ja nicht, was das Volk von Paris in seiner glühenden Begeisterung für Napoleon und die neue Verfassung –« Das war Lucien.
Eine Uhr schlug sechs. »Um Himmels willen, wir müssen gehen! Sie wartet draußen im Wagen auf uns, wir wollten doch nur ganz schnell guten Morgen sagen«, rief Julie.
»Wer wartet draußen im Wagen?«, wollte ich wissen.
»Schwiegermama. Madame Letitia war zu müde, um auszusteigen und euch zu begrüßen. Wir haben versprochen, sie nach Hause zu bringen.« Plötzlich hatte ich das Bedürfnis, Madame Letitia nach dieser Nacht zu sehen. Ich lief aus dem Haus. Es roch nach Nebel, und als ich auf die Straße trat, glitten mehrere Gestalten in die Dämmerung zurück. Standen denn noch immer Leute vor unserem Haus und warteten?
Ich öffnete den Schlag der Kutsche. »Madame Letitia«, rief ich in das Dunkel hinein. »Ich bin es – Désirée. Ich möchte Ihnen gratulieren.« Die Gestalt in der Wagenecke bewegte sich, aber es war so finster im Wagen, dass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. »Gratulieren? Wozu, mein Kind?«
»Napoleon ist doch erster Konsul geworden und Lucien Innenminister, und Joseph sagt, dass er –«
»Die Kinder sollten sich nicht so viel mit Politik beschäftigen«, kam es aus dem Dunkel. Diese Madame Bonaparte wird nie anständig Französisch lernen, nicht um eine Silbe besser spricht sie als an jenem Tag, an dem ich sie in Marseille kennen lernte. Die scheußlich riechende Kellerwohnung fiel mir ein. Und jetzt lassen sie die Tuilerien neu möblieren … »Ich habe geglaubt, dass Sie sich sehr freuen werden, Madame«, sagte ich ungeschickt. »Nein. Napoleone gehört nicht in die Tuilerien, das schickt sich nicht!«, kam es entschieden aus dem finsteren Wagen. »Wir leben doch in einer Republik«, warf ich ein. »Rufen Sie Julie und die beiden Jungen, ich bin müde. Sie werden sehen, er wird in den Tuilerien auf schlechte Gedanken kommen, auf sehr schlechte Gedanken!«
Da erschienen sie endlich, Julie, Joseph, Lucien. Julie umarmte mich und presste ihre heiße Wange an mein Gesicht. »Es ist so wunderbar für Joseph«, flüsterte sie. »Komm zum Mittagessen zu mir, ich muss mich mit dir aussprechen!« Im gleichen Augenblick trat Jean-Baptiste auf die Straße, um unsere Gäste an
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