Désirée
Bauernmädchen aus St. Maximin, die Frau des Lucien Bonaparte. Hundert Zeugen, tausend Zeugen haben gesehen, wie Lucien damals den Bruder auf die Rednertribüne zerrte und mit leuchtenden Augen das erste »Vive Bonaparte« erzwang … Ein paar Wochen später haben bereits die Wände in den Tuilerien gezittert, weil sie so leidenschaftlich miteinander stritten: Innenminister Lucien Bonaparte und Erster Konsul Napoleon Bonaparte. Zuerst ging es um die Pressezensur, die Napoleon einführte. Dann um die Ausweisung von Schriftstellern. Zwischendurch auch um Christine, die Tochter des Gastwirtes, der der Zutritt zu den Tuilerien verweigert wurde. Lucien blieb nicht lange Innenminister. Und Christine nur noch kurz der Anlass ewigen Familienstreites. Das rundliche Bauernmädchen mit den Apfelwangen und den Lachgrübchen begann nach einem feuchten Winter Blut zu husten.An einem Nachmittag saß ich bei ihr, und wir sprachen vom kommenden Frühling und betrachteten Modejournale. Christine wünschte sich ein Kleid mit Goldstickerei. »In diesem Kleid werden Sie in die Tuilerien fahren und dem Ersten Konsul vorgestellt werden, und Sie werden so schön sein, dass er Lucien beneiden wird«, sagte ich. Christines Grübchen verschwanden. »Ich habe Angst vor ihm, er hat doch kein Herz.« Schließlich setzte Madame Letitia durch, dass Christine in den Tuilerien empfangen werden sollte. Napoleon teilte seinem Bruder eine Woche später beiläufig mit: »Und vergiss nicht, morgen Abend deine Frau in die Oper zu bringen und mir vorzustellen.« Aber Lucien antwortete nur: »Ich fürchte, meine Frau ist genötigt, diese ehrenvolle Einladung abzulehnen.« Napoleons Lippen wurden sofort schmal: »Es ist keine Einladung, Lucien, sondern eine Aufforderung des Ersten Konsuls.« Lucien schüttelte den Kopf: »Meine Frau kann auch einer Aufforderung des Ersten Konsuls nicht nachkommen, meine Frau liegt im Sterben.«
Der kostbare Kranz bei Christines Begräbnis trug die Inschrift »Meiner lieben Schwägerin Christine – N. Bonaparte«. Die Witwe Jouberthon hat rote Haare, einen vollen Busen und ein Grübchenlächeln, das ein wenig an Christine erinnert. Sie war mit einem unbekannten kleinen Bankbeamten verheiratet gewesen. Napoleon verlangte von Lucien, dass er ein Mädchen der zurückgekehrten Hocharistokratie heiraten sollte. Aber Lucien erschien mit der Witwe Jouberthon auf dem Standesamt. Worauf Napoleon einen Ausweisungsbefehl gegen den französischen Bürger Lucien Bonaparte, ehemaliges Mitglied des Rates der Fünfhundert, ehemaliger Innenminister der französischen Republik, unterschrieb. Lucien machte uns vor seiner Abreise nach Italien einen Abschiedsbesuch. »Damals im Brumaire wollte ich das Beste für die Republik, daswissen Sie, Bernadotte«, sagte er. »Ich weiß es«, antwortete Jean-Baptiste, »aber Sie haben sich in einem großen Irrtum befunden. Damals – im Brumaire.«
Vor über zwei Jahren hat Hortense so laut geweint, dass die Posten im Hof der Tuilerien erschrocken zu ihren Fenstern hinaufsahen. Napoleon hatte seine Stieftochter mit seinem Bruder Louis verlobt. Louis, der dicke plattfüßige Junge, hatte nichts für die farblose Hortense übrig, ihm waren die Schauspielerinnen der Comédie Française lieber. Aber Napoleon fürchtete eine neue »Mesalliance« in der Familie. Nun hatte sich Hortense eingesperrt und schrie vor Weinen. Sie weigerte sich, ihre Mutter einzulassen. Man schickte schließlich um Julie. Julie hämmerte mit den Fäusten an Hortenses Tür, bis das Mädchen öffnete. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Julie. Hortense schüttelte den Kopf. »Sie lieben einen anderen, nicht wahr?«, sagte Julie. Hortenses Schluchzen verstummte, und die magere Gestalt wurde steif vor Abwehr. »Sie lieben einen anderen«, wiederholte Julie. Hortense nickte unmerklich. »Ich werde mit Ihrem Stiefvater sprechen«, sagte Julie. Hortense starrte hoffnungslos vor sich hin. »Gehört der andere dem Kreis des Ersten Konsuls an? Würde ihn Ihr Stiefvater als geeigneten Bewerber betrachten?« Hortense rührte sich nicht. Aus den weit offenen Augen flossen Tränen. »Oder – ist dieser andere bereits verheiratet?« Hortenses Lippen teilten sich, sie versuchte zu lächeln und begann plötzlich zu lachen. Lachte, lachte – schrill und haltlos, schüttelte sich vor Lachen wie eine Verrückte. Julie packte sie an den Schultern. »Hören Sie doch auf! Nehmen Sie sich zusammen! Wenn Sie nicht aufhören, muss ich den Arzt rufen!« Aber
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