Désirée
Gesicht.«
»Und was wird mit dem Gefangenen geschehen? Du – er kann ihn doch nicht erschießen lassen!«, sagte ich entsetzt. Jean-Baptiste zuckte die Achseln. »Und auf die Republik hat er sich vereidigen lassen, geschworen hat er, die Menschenrechte zu verteidigen!«, murmelte er.
Wir sprachen nicht mehr vom Herzog. Aber ich musste immerzu an das Todesurteil denken, das angeblich auf Napoleons Schreibtisch lag und auf einen Federstrich von ihm wartete. »Julie hat mir erzählt, dass Jérôme Bonaparte eingewilligt hat, sich von dieser Amerikanerin scheiden zu lassen«, sagte ich schließlich, um das drückende Schweigen zu unterbrechen. Jérôme, das grässliche Kind von einst, war Marineoffizier geworden und auf einer Seereise beinahe den Engländern in die Hände gefallen. Um ihnen zu entgehen, war er in einem amerikanischen Hafen gelandet. Dort heiratete er eine Miss Elisabeth Patterson, ein junges Mädchen aus Baltimore. Napoleon hatte natürlich getobt. Nun war Jérôme auf der Heimreise und bereit, seinem großen Bruder den Gefallen zu tun und sich von der ehemaligen Miss Patterson scheiden zu lassen. »Sie hat aber viel Geld«, war die einzige Form von schriftlichem Widerspruch, die er Napoleon gegenüber gewagt hatte. »Die Familienverhältnisse des Ersten Konsuls interessieren mich wirklich nicht«, bemerkte Jean-Baptiste. Imgleichen Augenblick hörten wir einen Wagen vorfahren. »Zehn Uhr vorbei«, sagte ich, »eigentlich zu spät für Besuche.« Fernand stapfte herein und meldete: »Madame Letitia Bonaparte.« Ich war sehr überrascht. Napoleons Mutter pflegte niemals unangesagt Besuche zu machen. Nun schob sie sich dicht hinter Fernand zur Tür hinein. »Guten Abend, General Bernadotte, guten Abend, Madame.« Madame Letitia ist in diesen Jahren nicht älter, sondern jünger geworden. Das früher so harte und versorgte Gesicht erscheint jetzt voller, die Falten um die Mundwinkel wirken ausgebügelt. Das dunkle Haar weist jedoch ein paar silberne Strähnen auf und ist noch immer nach Art der Bäuerinnen zurückgekämmt und im Nacken zu einem Knoten zusammengehalten. In die Stirn fallen ein paar Pariser Ringellöckchen und passen gar nicht zu ihr. Wir führten sie in den Salon, und sie setzte sich nieder und zog langsam die zartgrauen Handschuhe aus. Ich starrte unwillkürlich auf ihre Hände mit dem großen Kameenring, den ihr Napoleon aus Italien mitgebracht hat. Mir fielen die roten, aufgesprungenen Finger von einst, die ununterbrochen Wäsche gewaschen hatten, ein. »General Bernadotte, halten Sie es für möglich, dass mein Sohn diesen Herzog von Enghien erschießen lässt?«, fragte sie unvermittelt. »Nicht der Erste Konsul, sondern ein Kriegsgericht hat den Herzog zum Tode verurteilt«, antwortete Jean-Baptiste vorsichtig. »Das Kriegsgericht richtet sich nach den Wünschen meines Sohnes. Halten Sie es für möglich, dass mein Sohn das Urteil vollziehen lässt?« »Nicht nur für möglich, sondern für sehr wahrscheinlich. Ich wüsste nicht, wozu er sonst den Befehl erteilt haben sollte, den Herzog, der sich nicht auf französischem Boden befand, gefangen zu nehmen und vor ein Kriegsgericht zu stellen.«
»Ich danke Ihnen, General Bernadotte.« Madame Letitia betrachtete aufmerksam ihren Kameenring. »KennenSie die Gründe, die meinen Sohn zu diesem Schritt bewogen haben?«
»Nein, Madame.«
»Haben Sie Vermutungen?«
»Ich möchte sie nicht aussprechen, Madame.«
Wieder schwieg sie. Vorgebeugt, mit leicht auseinander gespreizten Beinen saß sie auf dem Sofa. Wie eine Bäuerin, die sehr müde ist und die sich nur einen Augenblick Ruhe gönnen darf. »General Bernadotte, wissen Sie, was die Vollstreckung dieses Todesurteils bedeutet?« Jean-Baptiste gab keine Antwort. Er strich sich durch die Haare, und ich konnte ihm ansehen, wie peinlich ihm das Gespräch war. Da hob sie das Gesicht, ihre Augen waren weit geöffnet: »Mord! Einen ganz gemeinen Mord bedeutet es.«
»Sie sollten sich nicht aufregen, Madame –«, begann Jean-Baptiste gequält. Aber sie hob beide Hände und schnitt ihm das Wort ab. »Nicht aufregen, sagen Sie? General Bernadotte, mein Sohn ist im Begriff einen gemeinen Mord zu begehen, und ich – ich, seine Mutter, soll mich nicht aufregen?« Ich stand auf und setzte mich zu ihr aufs Sofa und nahm ihre Hand. Ihre Finger zitterten. »Napoleon wird politische Gründe haben«, flüsterte ich. Aber sie fuhr mich an: »Halt den Mund, Eugénie!« Dann spähte sie wieder in
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