Désirée
Hortense konnte nicht aufhören zu lachen. Da wurde meine geduldige Julie wütend. Ohne zu überlegen, knallte sie Hortense eine Ohrfeige ins Gesicht. Hortense verstummte. Der weit aufgerisseneMund schloss sich, und sie atmete ein paar Mal tief. Dann wurde sie ruhig. »Ich liebe doch – ihn«, sagte sie leise. An diese Möglichkeit hatte Julie nicht gedacht. »Weiß er das?«, fragte sie. Hortense nickte. »Es gibt wenige Dinge, die er nicht weiß. Und diesen Rest erfährt er durch Polizeiminister Fouché.« Es klang bitter. »Heiraten Sie Louis, es ist das Beste. Louis ist immerhin sein Lieblingsbruder …«
Ein paar Wochen später wurde die Hochzeit gefeiert. Polette wurde Hortense als Beispiel vorgehalten. Wie hatte sie sich gegen ihre Heirat gesträubt. Napoleon hatte sie in die Ehe mit General Leclerc geradezu zwingen müssen. Und wie hatte sie geweint, weil Napoleon verlangte, dass sie Leclerc auf seiner Reise nach San Domingo begleiten sollte. Tränenüberströmt hatte sie sich mit ihm schließlich eingeschifft. Leclerc starb in San Domingo am gelben Fieber. Und Polette war so untröstlich gewesen, dass sie ihr honigfarbenes Haar abschnitt und es ihm in den Sarg legte. Dies pflegte der Erste Konsul als sichersten Beweis von Polettes großer Liebe zu dem Verstorbenen anzuführen. Ich habe ihm einmal erwidert: »Im Gegenteil, es beweist, dass sie ihn nie geliebt hat. Und dass sie ihm deshalb ganz zuletzt irgendetwas zuliebe tun wollte.« Polettes Haare wuchsen zu schulterlangen Ringellocken nach, und Napoleon verlangte, dass sie die Locken mit den kostbarsten Perlenkämmen der Welt hochsteckte. Diese Kämme gehören zum Familienschmuck der Fürstin Borghese. Die Borghese sind ältester italienischer Adel, verwandt mit allen Königshäusern Europas. Napoleon schob dem ältlichen Fürsten Camillo Borghese mit dem knieweichen Gang und den zittrigen Händen seine Lieblingsschwester Polette als Gemahlin zu. Ihre Durchlaucht, die Fürstin Pauline Borghese. Mein Gott, Polette mit dem geflickten Seidenkleidchen, verwickelt in Straßenbekanntschaften. Ja,sie haben sich alle verändert … Und zum letzten Mal sah ich den tanzenden Lichtern in den Fluten zu. Warum gerade ich, dachte ich, warum heißt es, dass ich die Einzige bin, die es vielleicht durchsetzen kann? Ich ging zum Wagen zurück. »Zu den Tuilerien!« Nun überdachte ich verzweifelt meine Aufgabe. Dieser Bourbone, der Herzog von Enghien, der angeblich im Dienst der Engländer steht und immer wieder droht, die Republik für die Bourbonen zurückzuerobern, ist gefangen worden. Aber diese Gefangennahme ist nicht auf französischem Boden vor sich gegangen, der Herzog hat sich gar nicht in Frankreich befunden. Sondern in einer kleinen Stadt, die Ettenheim heißt und in Germanien liegt. Vor vier Tagen hat Napoleon plötzlich einen militärischen Angriff auf dieses Städtchen angeordnet. Dreihundert Dragoner überschritten den Rhein, entführten den Herzog aus Ettenheim und schleppten ihn nach Frankreich. Nun wartet der Gefangene in der Festung Vincennes auf die Entscheidung über sein Schicksal. Ein Militärgericht hat ihn heute wegen Hochverrats und Versuchs eines Anschlages auf das Leben des Ersten Konsuls zum Tode verurteilt. Das Todesurteil ist dem Ersten Konsul überbracht worden. Napoleon wird es bestätigen oder den Verurteilten begnadigen. Die alten Adelsfamilien, die jetzt bei Josephine aus und ein gehen, haben sie natürlich angefleht, Napoleon um Gnade zu bitten. Alle waren sie in den Tuilerien erschienen, während die ausländischen Diplomaten Talleyrand belagerten. Napoleon hat niemanden empfangen. Josephine suchte bei Tisch eine Möglichkeit, auf ihn einzuwirken. Mit einem »Ich bitte Sie, sich nicht zu bemühen« wurde sie von Napoleon zum Schweigen gebracht. Gegen Abend hatte sich Joseph bei ihm melden lassen. Napoleon ließ fragen, worum es sich handele. Joseph erklärte dem Sekretär: »Um eine Angelegenheit im Sinne der Gerechtigkeit.« DerSekretär erhielt den Bescheid, Joseph mitzuteilen, dass der Erste Konsul nicht gestört werden wollte.
Beim Nachtmahl war Jean-Baptiste ungewöhnlich schweigsam. Plötzlich schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Begreifst du, was Bonaparte wagt? Er holt sich mit Hilfe von dreihundert Dragonern einen politischen Gegner aus dem Ausland! Entführt ihn nach Frankreich und stellt ihn hier vor ein Kriegsgericht! Für jeden Menschen, der nur einen Funken von Rechtsempfinden besitzt, wirkt das wie ein Schlag ins
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