Desperado der Liebe
möglich ist, und lange genug leben, um meine Urenkel auf den Knien zu -« Mitten im Satz brach Noble ab, geschüttelt von einem heftigen Hustenanfall. Er ließ den Gehstock fallen, griff sich an die Brust und sackte zusammen.
»Großvater...« Erschrocken eilte Araminta zu ihm und half ihm, sich in den Drehstuhl hinter seinem Schreibtisch zu setzen, dann lockerte sie den Kragen seines Hemdes. »Halte durch. Ich hole dir ein Glas Wasser.«
»Nein... lieber einen... Whiskey«, brachte er hustend heraus.
Araminta glaubte zwar nicht, daß in seinem Zustand Alkohol das Richtige war, aber weil sie ihn nicht noch weiter aufregen und seine Verfassung nicht noch weiter verschlimmern wollte, lief sie gehorsam zur Bar neben seinem Schreibtisch, öffnete eine der Kristallkaraffen und schenkte ihm ein Glas ein. Dann eilte sie wieder zu ihm und half ihm, das Glas beim Trinken zu halten. In seinen Drehstuhl gelehnt, die Augen geschlossen, hielt er Araminta wortlos das leere Glas hin, ihr bedeutend, sie möge ihm nachschenken.
»Großvater, geht es wieder? Hast du schon einmal einen solchen Anfall gehabt? Vielleicht sollte ich doch besser den Arzt kommen lassen...«
»Nein, nein. Das war nicht das erstemal. Es ist gleich wieder vorbei. Ich kenne das schon. Ich werde eben älter, Mädel, und dagegen kann kein Arzt der Welt etwas machen.«
Doch Araminta war nicht überzeugt, daß der plötzliche Anfall ihres Großvaters allein Folge seines hohen Alters war ; und mit vor Sorge gerunzelter Stirn ging sie erneut zur Bar, um ihm ein weiteres Glas einzuschenken. Bis zum heutigen Tag hatte sie nicht einmal geahnt, daß es mit der Gesundheit ihres Groß-vaters nicht zum besten stand. Der Gedanke alarmierte sie. Trotz aller Reserviertheit ihm gegenüber fühlte sie dennoch eine gewisse Zuneigung zu ihm, so störrisch und widerborstig er auch manchmal sein mochte. Immerhin war er ihr letzter noch lebender Verwandter, und er hatte sie auf seine ihm eigene Art herzlich behandelt. Was sollte nur aus der Ranch werden, wenn er starb und sie noch unverheiratet war? Selbst Judd schien es nicht zu wissen, was sicher auch der Grund war, weshalb er sie so sehr drängte. Und was, wenn sie die Ranch nicht erbte, weil sie noch ledig war? Was sollte dann aus ihr werden? Sie konnte nicht einmal sicher sein, Geld zu erben, und sie verfügte über keinerlei Ersparnisse und nur begrenzte Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Bislang hatte sie auf ihren Brief an Liam O'Grady keine Antwort erhalten, daher wußte sie nicht, ob ihr Artikel angenommen worden war und im Record erscheinen würde und ob es Anlaß zu der Hoffnung gab, jemals wieder für eine Zeitung in New York zu arbeiten. Sollte ihr Großvater morgen sterben, stünde sie ebenso mittellos da wie zu dem Zeitpunkt ihrer Rückkehr nach Texas. Diese Vorstellung machte ihr angst, und in diesem Licht besehen erschien die Vorstellung, Judd zu heiraten, weit weniger schlimm.
Zumindest wurde er gefürchtet und respektiert, und er verstand es, eine große Ranch zu leiten. Niemand würde es wagen, seine Autorität auf der High Sierra anzuzweifeln; niemand würde sich trauen, ihn zu betrügen oder auszunutzen. Als seine Frau wäre ihre Zukunft gesichert, und jedes Kind, das sie zur Welt brächte, wäre rundum versorgt. Frank und Elizabeth Hobart würden sie mit offenen Armen in ihre Familie aufnehmen, und selbst Velvet - die sich unerklärlicherweise ihr gegenüber eigenartig distanziert verhalten hatte - würde letzten Endes, wenn auch nicht wie eine Schwester, so aber doch zumindest die Freundin sein, nach der sich Araminta schon so lange sehnte.
All das, da war Noble sicher, ging Araminta in diesem Augen-blick durch den Kopf. Vorsichtig schaute er, unter halb geschlossenen Lidern zu ihr und lachte leise in sich hinein, zufrieden mit seiner plötzlichen Idee, einen Anfall vorzutäuschen, damit sie glaubte, seine Tage seien gezählt. Nun würde sie sich ganz sicher ihre romantischen Hirngespinste ein für allemal aus dem Kopf schlagen, mit ihrer Ziererei aufhören und endlich Judd heiraten. Hätte Araminta in diesem Moment den Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen, wäre sie sofort mißtrauisch geworden. Doch sie stand unglücklicherweise mit dem Rücken zu ihm an der Bar, und als sie sich umdrehte, um ihm das zweite Glas Whiskey zu reichen, war Nobles Miene erneut vor Schmerz verzerrt, und ihm entfuhr ein leises Stöhnen. Araminta bemerkte nicht, daß seine Gesichtsfarbe gar nicht die eines Schwerkranken war
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