Desperado der Liebe
liebenswürdiger und zugänglicher erwiesen, wäre eine natürliche Vertraute gewesen, wenn man bedachte, daß sie und Araminta etwa im gleichen Alter waren. Doch trotz Aramintas Versuchen hatte Velvet bislang wenig Interesse an einer Freundschaft mit ihr gezeigt. Und was Judds Eltern, Frank und Elizabeth Hobart, betraf, so hatte Araminta trotz all ihrer Herzlichkeit nicht das Gefühl, sich den beiden wirklich anvertrauen zu können, ebensowenig wie Mr. Gideon, wenn es um ihren Großvater ging. Denn wenn er es gewollt hätte, hätte er ihnen bestimmt von sich aus von seinen Anfällen erzählt; und sie würden ihn auch bestimmt darauf ansprechen, wenn Araminta sie zu Rate zog. Die Bediensteten kamen schon gar nicht in Frage. So zuvorkommend sie auch waren, sie würden sich nur Sorgen machen und untereinander darüber reden, was ihr Großvater sicher mitkriegen würde; und sie wußte genau, wie sehr es ihm mißfallen würde, wenn seine Angestellten, die in seinen Augen nicht mehr als Untergebene waren, über seine persönlichen Angelegenheiten sprachen. Das Beste, was sie tun konnte, war, sich, ohne ins Detail zu gehen, unter vier Augen mit dem Arzt zu unterhalten,- vielleicht verstand er den Wink und würde sich von sich aus an ihren Großvater wenden. Gleich heute würde sie den Arzt aufsuchen, beschloß sie. Judd hatte versprochen, mit ihr nach El Paso zu fahren, um die Weihnachtsgeschenke einzukaufen.
Es war eine angenehme Fahrt in die Stadt; Judd plauderte über die neuesten Ereignisse und seinen Vormittag auf dem Chaparral. Und plötzlich hatte Araminta das Gefühl, als wären sie und Judd bereits ein Ehepaar, so gut kannte sie ihn inzwischen, so nahe waren sie sich gekommen. Erschrocken wurde sie sich gewahr, daß sie tatsächlich von ihm abhängig geworden war und es längst als normal betrachtete, daß er da war, wenn sie ihn brauchte, so wie an diesem Nachmittag. Und erstmals dachte sie darüber nach, wie ihr Leben wohl aussähe, wenn sie nicht nur ihren Großvater nicht mehr hätte, sondern auch Judd verlieren würde. Der Gedanke war wenig ermutigend. Sie würde völlig auf sich allein gestellt sein in einer Welt, in der es eine Frau wahrlich nicht leicht hatte - vor allem, wenn sie keinen Mann hatte, der sie beschützte. Als sie an ihr Leben in New York dachte, erschauderte sie. Trotz der Unabhängigkeit, die sie genossen hatte, mußte sie, wenn sie ehrlich war, zugeben, daß sie in New York nicht glücklich gewesen war. Ihre Tage waren lang und mühevoll und strapaziös gewesen. Sie hatte keine Freunde und Bekannten gehabt und schon gar keine Verehrer, keine Hoffnung zu heiraten oder Kinder zu haben. Nun schien sie keine Chance zu haben, die angestrebte Karriere als Journalistin zu verwirklichen. Was war schlimmer? fragte sie sich. Einsam oder von jemandem abhängig zu sein? Das Problem war, daß sie beides nicht wollte; es war sicherlich schamlos und gierig von ihr, alles zu wollen und zu hoffen, Judd würde, im Gegensatz zu ihrem Großvater, ihren Wunsch, Journalistin zu werden, verstehen und unterstützen.
Warum erwog sie es überhaupt, Judd zu heiraten? Nun... warum eigentlich nicht? Vieles sprach für ihn. Vielleicht hatte ihr Großvater ja recht und ihre romantischen Vorstellungen waren töricht. Vielleicht würde sie mit Judd tatsächlich glücklich werden können, wenn sie ihrer Beziehung wenigstens eine Chance gab.
Auf unerwartete Weise wurde dieses Gefühl noch verstärkt, als sie nach El Paso kamen und Judd sein schnittiges Automobil an der Hauptstraße parkte. Auf dem Gehsteig war eine Gruppe von Kindern gerade dabei, einen viel kleineren Mexikanerjungen zu hänseln, und als Judd ganz in der Nähe hielt, konnte Araminta sehen, daß der kleine Junge blaue Flecken hatte und weinte. In dem Moment, als sie hinschaute, beschimpfte ihn einer der größeren Rabauken und verpaßte ihm einen solchen Stoß, daß er hinfiel.
»Oh, Judd, sieh nur. Wie grausam«, rief sie. »Warum müssen sich diese Flegel an jemandem vergreifen, der viel kleiner ist als sie? Warum greift denn keiner ein? Warum sorgt niemand dafür, daß sie aufhören, den armen Jungen zu quälen? «
Noch während sie das sagte, versuchte sie die Beifahrertür aufzustoßen und auszusteigen, um dem kleinen Mexikaner zu Hilfe zu eilen. Aber Judd kam ihr zuvor. Er machte sich gar nicht erst die Mühe, seine Tür zu öffnen, sondern sprang mit einem Satz aus dem Wagen und war schon im nächsten Moment bei den prügelnden Kindern und zog
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