Desperado der Liebe
und seine Lippen nicht im mindesten blau angelaufen waren.
»Großvater, soll ich nicht doch lieber den Arzt rufen lassen? «
»Nein, nicht nötig. Wird gleich wieder vorbei sein, also mach dir mal keine Sorgen, hörst du?« Doch seine Stimme bebte, und seine Hände zitterten, als er das Glas hob. Und so zerstreute sich Aramintas Besorgnis nicht, sondern pflanzte sich wie ein giftiges Samenkorn in ihr Herz und begann zu sprießen.
9. Kapitel
Weihnachten in Texas war ganz anders als Weihnachten in New York City, wie Araminta feststellte, als der Winter einkehrte und die Festtage näher rückten. Es gab keinen großen Weihnachtsbaum, prächtig geschmückt mit kostbaren Kugeln, Sternen und Süßigkeiten, wie er im Haus ihrer Eltern und auch später im Internat aufgestellt worden war. Statt dessen stand in der Eingangshalle der High Sierra eine, wie Araminta fand, spindeldürre, eher armselig wirkende Kiefer, die Noble jedoch als den besten Baum bezeichnete, der in der ganzen Umgegend zu finden gewesen sei. Was eingedenk der Vegetation des Landes durchaus sein konnte, wie Araminta sich schließlich sagte. Neben anderem, ihr nicht vertrauten Schmuck war der Baum mit getrockneten Chilischoten behängt, die einen derart penetranten Geruch ausströmten, daß ihr jedesmal die Augen tränten, wenn die Kerzen abends angezündet wurden und die Schoten langsam erhitzten. Zwei Bräuche jedoch, die im Südwesten üblich waren und an die sich Araminta noch freudig aus ihren Kindertagen auf der High Sierra erinnerte, waren zum einen die kunterbunte piñata - in diesem Jahr ein farbenfroher Esel -, die von einem Holzbalken der Decke baumelte, und die luminarias, die die Zufahrt zur Hacienda säumten, kleine durchsichtige Papiertüten, die mit Sand beschwert waren und in denen sich eine Kerze befand, die die Tüte nachts, wenn die Kerze angezündet war, wie Engelsfeuer leuchten ließ. Ein- oder zweimal, als niemand in der Nähe war, konnte Araminta nicht widerstehen und verpaßte dem Eselchen mit dem langen Stab, mit dem die piñata am Heiligabend aufgeschlagen wurde, einige leichte Schläge. Doch ließ sie sofort wieder davon ab, als Teresa sie schmunzelnd und kopfschüttelnd dabei ertappte.
»Aieee, genau das haben Sie auch als muchacha gemacht, Señorita. Und el patrón, er wurde einmal so böse, als Sie die piñata vor Weihnachten aufgehauen haben und als das Spielzeug und die Süßigkeiten in alle Richtungen flogen. Ihre Mama und ich, wir waren gerade in der Küche und haben nichts gehört, und so hatten Sie Zeit genug, alles auszupacken, und haben eine große Unordnung im Zimmer gemacht und so viel süßes Zeug in sich hineingestopft, daß Sie ganz krank geworden sind.«
Araminta mußte bei Teresas Worten lachen, auch wenn es ihr so peinlich war, daß sie errötete,- sie hatte das Ereignis schon ganz vergessen. Doch nun erinnerte sie sich lebhaft daran, wie ihr Großvater sie damals angeschrien und sie damit so schrecklich eingeschüchtert hatte, daß ihr von den vielen Süßigkeiten ganz schlecht wurde und sie sich auf den Teppich übergeben mußte, was ihn sprachlos vor Wut dastehen ließ. Ein Wunder nur, dachte sie amüsiert, daß ihn nicht an Ort und Stelle der Schlag getroffen hatte. Doch im selben Moment verging ihr jeder Humor, und sie runzelte besorgt die Stirn, als sie an seinen derzeitigen angegriffenen Gesundheitszustand denken mußte. Seit jenem Vorfall in seinem Arbeitszimmer hatte er noch weitere Anfälle dieser Art erlitten. Und dennoch hatte er starrköpfig behauptet, ihm fehle nichts, es sei nur das Alter, und hatte sich hartnäckig geweigert, ihr zu erlauben, den Arzt kommen zu lassen. Sie fürchtete, wenn sie sich darüber hinwegsetzte und den Arzt dennoch rief, würde ihr Großvater so aufgebracht sein, daß er einen Herzanfall erlitt und starb. Es war erschreckend, wie die blaue Ader an seiner Stirn anschwoll und pulsierte, wenn er sich aufregte, so als würde sie jeden Moment platzen. Nicht weniger besorgniserregend jedoch war die Art und Weise, wie er hustete und keuchte und sich an den Hals faßte, wenn ihn einer seiner plötzlichen Hustenanfälle überkam.
Araminta wünschte sich sehnlichst, jemanden zu haben, den sie um Rat fragen konnte. Aber es gab niemanden. Judd würde sie nur noch mehr bedrängen, ihn endlich zu heiraten, und auch wenn ihr Widerstand gegen sein Werben allmählich schwand, fühlte sie sich noch nicht bereit, seine Frau zu werden. Seine Schwester Velvet, hätte sie sich als
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