Desperado der Liebe
seine Bandoleros nicht nur einen beträchtlichen Vorsprung, sondern würden auch, wenn sie den Rio Grande überquert hatten, eindeutig im Vorteil sein, was die Ortskenntnis und mögliche Verstecke betraf. Wenn es nicht einmal die Föderalisten zuwege brachten, die Verstecke der Desperados und Revolutionäre ausfindig zu machen, wie sollten ihr Großvater und Judd es dann schaffen? Wie konnte sie, eine auf sich allein gestellte Frau, hoffen zu entkommen und hernach in unbekanntem Gebiet zu überleben und den gefährlichen und beschwerlichen Weg in die Freiheit und Sicherheit zu überstehen? Sie wußte so gut wie gar nichts über die Überlebensmöglichkeiten hier draußen in der Wildnis, und Hunger, Durst und Müdigkeit würden bei weitem nicht das Schlimmste sein, was ihr bevorstünde.
Brutale Soldaten, blutrünstige Aufständische und Ganoven, die gefährlichen Yaqui-Indianer und wilde Tiere hielten sich hier in den kargen Bergen und Wüsten von Mexiko auf. Kein Landstrich war sicher, vor allem die nördliche Provinz von Chihuahua nicht, wohin Rigo sie brachte.
Denn im Morgengrauen des 9. Februar hatten sich Félix Díaz und Manuel Mondragon, zwei ehemalige Generäle des entmachteten Präsidenten Porfirio Díaz, mit Waffengewalt in der militärischen Zone von La Ciudadela gegen die Regierung des neuen Präsidenten von Mexiko, Francisco Madero, erhoben. Worauf Madero unverzüglich einen seiner Generäle, Victoriano Huerta, losschickte, der der Rebellion ein Ende bereiten sollte. Doch Huerta gab nur vor, dies zu tun ; in Wahrheit steckte er mit den Rebellen unter einer Decke, ebenso wie der Vizepräsident Piño Suärez. Huerta ließ Madero schließlich im Regierungspalast verhaften und befahl seine Hinrichtung. Doch kaum war Huerta an die Macht gelangt, wurde seine Regierung von den Konstitutionalisten bekämpft, angeführt von Venustiano Carranza, der zu einem allgemeinen Aufstand gegen die Militärdiktatur aufgerufen hatte. Und einen Monat nach Maderos Ermordung waren die Rebellen, die ihn einst zum Präsidenten von Mexiko gemacht hatten, erneut bei den Waffen. Einer von ihnen, Francisco »Pancho« Villa, war am 6. März zusammen mit acht weiteren Männer, die später den Kern der erneuerten División del Norte bilden sollten, in die Sierra Chihuahua vorgedrungen, wo Villa auch jetzt noch Partisanen um sich scharte und die Garnisonen der Föderalisten überfiel. Mittlerweile waren die Kämpfe in Mexiko weit verbreitet und gewalttätiger denn je.
All das, sagte sich Araminta in diesem Moment, war Rigo sicher bekannt, und er baute sogar darauf, um zu verhindern, daß ihr Großvater und Judd sie befreiten oder Araminta fliehen konnte. Sie war so verzweifelt und verängstigt wie noch nie. Gerissen, gelassen und so gefährlich und unberechenbar wie ein Raubtier, würde sich Rigo nicht so einfach fangen oder Araminta entkommen lassen. Nein, sie war ganz und gar in seiner Gewalt, und sie hatte nichts, außer ihrem Verstand, um sich gegen ihn zu wehren. Diese Erkenntnis raubte ihr den letzten Mut, und es gelang ihr nur mit allergrößter Mühe, die auf steigende Hysterie zu unterdrücken. So wie damals am Bachufer konnte sie keinem anderen als sich selbst die Schuld an ihrem Dilemma geben, sagte sie sich, tief beschämt und bedrückt bei diesem Gedanken. Sie hatte sich so schamlos benommen wie eine Dime, sich mit ihm heimlich zu treffen, wie es sich für eine Dame nicht geziemte, ihn gar zu küssen...
Konnte es da verwundern, daß er meinte, sie gehöre ihm und habe sich schamlos genug aufgeführt, um entführt zu werden? Doch wenn er sie so sehr begehrte, wieso hatte er dann bis zu ihrer Hochzeit gewartet? Das ergab keinen Sinn - nicht wenn Rigo sich tatsächlich etwas aus ihr machte, wenn auch nur ein wenig. Also mußte er ihr absichtlich weh tun wollen. Aber warum...
Araminta konnte sich keinen Reim darauf machen, und schließlich zwang sie sich, mit der Grübelei aufzuhören, sie wollte nicht mehr nachdenken und ließ nun den Schrecken und die Erschöpfung zu, die ihr langsam bis in die Knochen krochen und ihr en Verstand und Körper zu lähmen schienen, so daß sie sich nicht mehr gegen ihren Entführer zur Wehr setzen konnte. Tränen rannen ihr über die Wangen, und schließlich lehnte sie sich an Rigo, den Kopf an seine Schulter geschmiegt. In diesem Moment lachte er erneut tief auf und murmelte ihr etwas auf spanisch zu. Sie beherrschte die Sprache kaum, glaubte aber »Schon viel besser« verstanden zu
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