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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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im Zimmer sprang ich mit einem USB – Stick, den ich in meinen Computer steckte, ins Internet: Philipp Müller, ein deutscher Arbeiter und Kommunist. Er war am 11. Mai 1952 mit nur 21 Jahren in Essen bei einer Demonstration gegen die bundesdeutsche Remilitarisierung von der Polizei erschossen worden. Müller galt als erster Toter einer Demonstration in der Bundesrepublik. In der DDR wurde er als Patriot und Nationalheld aufgebaut, vor allem die FDJ und ihr Vorsitzender Erich Honecker nutzten das Gedenken an Philipp Müller zu Propagandazwecken.
    Wieder unten im Gastraum saugte ich ein Pilsbier in mich hinein, damit aller Kleinmut und alle Mickrigkeits-Bedrückung schwanden und ich mit Schwung am vereinbarten Treffpunkt vor der Gaststätte Schröder ankam.
    Im Kopf sagte sich der Reporter die Namen der Mitglieder der Band auf, die er am Abend im Proberaum treffen würde, auch einfach deshalb, um noch einmal zu hören, wie ihre Namen klangen:
    Raoul.
    Eric.
    Rampa.
    Crooner.
     
    Vor der Gaststätte Schröder war eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben geparkt. Als ich die Straßenseite wechselte und auf das Auto zuging, sprang der Motor an.

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12 Deutschboden
    Wir bretterten durch die Stadt, hinter der Schleuse entlang über die Havel, die Dammhaststraße und Philipp-Müller-Straße hinunter: den Weg, den ich vor einer Stunde noch zu Fuß entlanggelaufen war.
    Das Auto war ein Skoda Superb, schwarz, mit Ledersitzen. Der, der hinter dem Lenkrad saß, war Crooner, der Sänger der Band, der mittlere von drei Söhnen des Bürgermeisters. Soweit das von der Rückbank des Wagens zu erkennen war: ein gut aussehender Mann. Schmal, kräftig, schmales Gesicht, hellblaue, kalte Augen, eine akkurate, nicht übertrieben kurz geschnittene Frisur. Keine Tätowierungen. Dieser Crooner war ein ganz anderer Typ junger Mann als sein Beifahrer Raoul: mehr bürgerliche Gene. Crooner sah nach Versicherung aus. Er sah nicht unbedingt aus wie ein Rock-’n’-Roll-Sänger, eher wie einer, der einen Rock-’n’-Roll-Sänger bei einer Party ziemlich gut darstellen konnte. Crooner rauchte. Raoul, der auf dem Beifahrersitz saß, rauchte auch. Crooner trug einen Ringelpulli. Raoul war wie bei unserem ersten Treffen gekleidet: Kappe, T-Shirt, Jeans, Turnschuhe. Raouls Haaransatz unter der Kappe sah frisch rasiert aus. Raoul: »Ich hasse das, wenn das hinten in den Nacken hängt.« Crooner sagte über seinen Wagen: »War nicht so teuer.
    Ein Ein-Jahres-Wagen.« Der Reporter erklärte Crooner, dass er ab und an mit dem Aufnahmegerät herumfuchtele, weil er Reporter sei und immer alles aufnehmen müsse. »Mach mal«, sagte Crooner.
     
    Der Mythos Schwindel-Schweiz musste geklärt werden. Ich fragte die Jungs, den Olympus-Stick zwischen die Köpfe auf den Vordersitzen haltend, was Schwindel-Schweiz zu bedeuten habe und wo diese verzauberte Gegend liege.
    »Da fahren wir gerade durch«, erklärte Crooner.
    Raoul: »Alles, was hinter der Probstbrücke liegt, nennenwir Schwindel-Schweiz. Weil da die Verrückten gewohnt haben, das Pack, die Verbrecher, die, die nicht arbeiten und mit einem Krankenschein in der Arschtasche herumlaufen. Mittlerweile wohnen da ganz normale Leute. Den Namen Schwindel-Schweiz, den hat sich wahrscheinlich irgendein Spritti bei Schröders an der Theke einfallen lassen.«
     
    Wir bogen ab in die 109 Richtung Templin. Bis zum Proberaum in Kurtschlag, in dem die beiden anderen Bandmitglieder auf uns warteten, waren es noch 15 Kilometer. Eine schnurgerade zweispurige Straße, rechts und links Kiefernwald, kein Haus, kein Feld, keine Lichtung, kein Weg, immer nur Kiefernwald. Crooner fuhr natürlich schnell. Der Skoda federte die Schlaglöcher in der Piste ab. Eine Straße, wie Sibirien im Kino aussah. Und tatsächlich, so erfuhr ich: Bis Mitte der Neunzigerjahre waren die Russen im Wald Richtung Templin stationiert gewesen.
     
    Wir waren bei Spitznamen. Raoul erzählte, dass Spitznamen in Oberhavel eine ganz natürliche Sache seien, früher oder später bekäme jeder seinen ab. »Wir haben mal einen Abend bei Schröder gesessen und alle Spitznamen aus Oberhavel aufgeschrieben, die uns eingefallen sind. Wurden vier DIN – A4-Seiten.« Und dann fingen Raoul und Crooner an, während der Skoda über die Schlaglöcher schoss, sich Spitznamen zuzurufen.
    Es war eine ziemlich lustige Liste. Die Namen waren: Öl-Uwe, Waldstraßen-Fee, Hubbabubba, Eiweiß, Krumpumpel (einer, der humpelte), Sexy, Udo Undeutsch, Meta

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