Deutschboden
Porno-Kassetten, leere Zigarettenschachteln, sonstiger Müll, ein noch nicht angebrochenes Sechserpack Bier. Eine quergestellte Schulkommode war die Bar. Auf dem Schulpult, das als Couchtisch diente, standen drei randvolle Aschenbecher und etwa dreißig leere, halb volle oder noch nicht angebrochene Flaschen: Wodka, Goldkrone, Berliner Kindl, die Mischgetränke Fanta, Cola und der Energy-Drink Booster, das BilligRed-Bull vom Supermarkt Plus, eine Tüte Chips mit Bacon-Geschmack. Hier musste vor Kurzem ein Saufgelage stattgefunden haben, bei dem die Jungs plötzlich die Kräfte verlassen hatten.
Neonröhren an den Decken. Gut die Hälfte der Wände bedeckten Eierkartons, die als Dämmung dienten, dazwischen Schimmelflecken, sonstige Flecken, ein runterhängendes, mit Krepppapier eingewickeltes Waschbecken, Schmierereien und Sprüche sowie eine Vielzahl von extra nachlässig, kreuz und quer über die Flecken gehängte Poster. Unter den Schmierereien fiel als Erstes der mit roter Farbe geschriebene Spruch »Gelb darf gehn, Braun bleibt« auf. Eine auf die Wand gemalte Uhr zeigte fünf vor zwölf. Unter den vielen Plakaten sah man ein Pornoplakat, das eine nackte Frau zeigte, die rittlings auf dem Penis eines nackten Mannes saß, während ein zweiter Mann ihr den Penis in den Mund steckte, dazu der Text »Fuck Brothers – Einzug ins Fickhaus«. Ein Plakat, das die Band
5 Teeth Less neben anderen Bands, die Herbst, Freigeist, Punk Beat Rockers, Porcupine und Dito hießen, nannte: Ankündigung für ein Open-Air-Festival in Fürstenberg. Daneben hingen etwa acht Poster der amerikanischen Punkband Blink 182, sowie, neben anderen Bandpostern, ein Plakat, das die nackte Christina Aguilera auf dem Cover des Rolling Stone zeigte.
Im hinteren Teil des Raums war die Ausrüstung für eine Band aufgebaut, Boxen, Bassboxen, Verstärker, Mikrophonständer, Schlagzeug. Da lehnten ein Bass, zwei E-Gitarren. Durch die Fenster sah man ins grüne Nichts, auf Wiesen, Bäume, Gräser, die Dorf-Diaspora, und die warme Abendluft des Mai strich herein. Es war ein besonders hässlicher, aber natürlich auch ein großartiger Raum: Als hätte sich ein mittelmäßig begabter MTV – Redakteur einen Proberaum für eine Punkband ausgedacht.
Rampa und Eric standen auf.
Umständliches Bierabstellen, Zigaretten-im-Aschenbecher-ablegen, Hosen-hochziehen, T-Shirt-runterziehen.
Beide hielten die Hand hin.
Tachchen.
Setzten sich wieder.
Die Jungs sahen gleich voll in Ordnung aus, aber wie ihr Kumpel und großer Bruder Raoul nicht ungefährlich. Beide, Rampa und Eric, waren harte Jungs. Und beiden traute man zu, dass sie sich in einer Schlägerei vortrefflich wehren beziehungsweise, was den Unterschied machte, schneller sein und als Erste zuschlagen konnten.
Rampa war ein 95-Kilo-Schrank, aber ein Schrank mit Brille: die schmale schwarze Hornbrille, die man in diesen Jahren bei vielen sah. Weitsichtigengläser, helle Augen dahinter. Der helle Typ. Rötliche Haut. Piercing in der Unterlippe, mehrere Ringe in den Ohren. Eine schwarze Kappe saß tief in die Stirn gezogen.
Er hatte breite Schultern, kräftige Arme. Beide Arme waren zutätowiert. Der Oberkörper steckte in einem hellblau-grau-weiß karierten Hemd mit Button-Down-Kragen, das Hemd war bis zum obersten Knopf zugeknöpft, womit ein nicht für jeden zu dechiffrierender Modecode ausgesendet wurde: Skinhead-Style, Arbeiterklasse, England, 1969, die erste Schule der Skinheads, die von den Mods abstammte, Reggae und Ska, also die schwarze Musik von den West Indies hörte und noch keinen gesteigerten Wert auf Prügeleien legte. Jeansshorts, Nike-Turnschuhe. Man sah diesen Rampa, wie er so friedlich dasaß, auf der Baustelle mit Zementsäcken, Bretterbohlen, Ziegelsteinen und Bierkästen herumwerfen, und ebenso gut konnte man ihn sich auf einem Konzert in den ersten Reihen vorstellen, wo Männer mit Springerstiefeln und nackten Oberkörpern tanzten.
Jetzt schaute er gerade finster, was er auch gut konnte. Man sah diesem Gesicht an, dass dieser Rampa gut losschnauzen und brettharte Ansagen machen konnte, denen man dann besser nicht widersprach. Genauso gut würde er plötzlich loslachen und unheimlich aufgekratzt und fröhlich sein können. Eine nicht ungefährliche Spannung würde aus dem Gesicht des Rampa nie ganz weichen.
Eric, der kleine Bruder, wirkte freundlicher, dabei aber nicht weniger düster. Man sah ihm nicht an, dass er Raouls Bruder war. Er war ganz in Schwarz
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