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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Mehlhase, der Teewurst-Blonde (ein Rothaariger), Hundertachtzig (einer, der zu schnell mit dem Fahrrad unterwegs war), Hemmhemm (ein Behinderter, er hatte mal ein Ding mit der Wippe abgekriegt, machte seither »Hemmhemm«, wenn er auf der Straße grüßte), Grease (einer mit Fünfzigerjahre-Haartolle), der Bürgermeister von der Schorfheide (hatte Schorf im Gesicht), Frosch-Uwe, Bowling-Bob, Kegel-Kalle, Waschbär, Porno-Grille, Triple-D (der dicke Dieter), Hundertzehnprozent, Ring-ring (ein Spinner, der behauptete, bei den Bikern zu sein, obwohl er nur ein Fahrrad besaß), Sülze, Augenzeuge (einer, der den ganzen Tag aus dem Fenster guckte), der Quotenneger, Innepisse-Eiermann (tauchte regelmäßig volltrunken vor dem Schröder auf und pinkelte sich die Hosen voll).
    Crooner: »Fakt ist, dass die Leute sich ihren Spitznamen nicht aussuchen können. Das hat noch nie geklappt.« Raoul: »Wenn dir etwas passiert, was ein bisschen raussticht, dann hast du deinen Spitznamen weg. Der klebt dann für immer an dir. Unser Kumpel Decke: Der ist mal nach einer Party mit Eimersaufen bis zum Morgengrauen total voll durch den Ort geirrt, splitternackt, nur mit einer Decke bekleidet. Seitdem heißt der Decke.«
     
    Der Reporter merkte, dass die Jungs sehr gerne erzählten. Es sollten natürlich tolle Geschichten sein. Es hatte sich in den zehn Minuten, seit wir im Auto saßen, eine Art Wettbewerb entsponnen, wer den größeren Knaller zu erzählen hatte. Den Wettbewerb gewann natürlich Raoul. Ihr Heimatort Oberhavel sollte ein möglichst spannender, lustiger, harter, am besten richtig verrückter Ort sein, eine Art gallisches Dorf in Brandenburg. Das sollte bloß kein langweiliger Ort sein. Es war jetzt schon eine ziemlich kurzweilige Autofahrt.
    Wir passierten das erste und einzige Hinweisschild der Strecke. Auf dem langen gelben Schild, das links in den Wald hineinzeigte, stand: »Deutschboden 1 km«. Exakt in dem Moment, als das Auto auf einer Höhe mit dem Schild war, bediente Crooner die Hupe, beide Jungs grüßten mit der rechten Faust und sprachen im Chor:
    »Deutschboden.«
    Es folgte, was ein irgendwie heroischer, weil gut rätselhafter Moment war, keine weitere Erklärung. Es fiel auf, dass der Ort »Deutschboden« auf den Silben »Boden«, nicht auf dem »Deutsch« betont wurde: Deutschboden.
    Der Reporter freute sich.
    Ich sagte: »Großartig. Weshalb das Hupen?«
    Raoul: »Ein Ritual. Man hat zu hupen und die Faust zu heben, wenn man an diesem Schild vorbeifährt. Weil Deutschboden einfach so ein geiler Name ist. Und weil Deutschboden auch so ein geiler Ort ist: drei Häuser mitten im Wald. Wir wissen das nur aus Erzählungen. Von uns ist noch nie jemand in Deutschboden gewesen. Wichtig ist – also ganz besonders wichtig ist, dass du auch dann hupst, wenn du allein im Auto an dem Schild vorbeifährst.«
    Crooner am Lenkrad: »Das ist ganz wichtig. Nicht vergessen. Immer hupen.«
    Raoul drehte sich vom Beifahrersitz zum Reporter auf der Rückbank um: »Wir kriegen das mit, mein Lieber, wenn du an Deutschboden vorbeifährst und nicht hupst.«
     
    Wir bogen in ein Dorf ab. Kopfsteinpflaster. Brücke über einem Rinnsal. Eine malerische Kulisse (soweit ein Dorf in Brandenburg malerisch aussehen konnte). Die Bierstube: eine Baracke mit Hasseröder-Leuchtschild. Dahinter lagen die Felder. Das Restaurant »Zum Mittelpunkt der Erde«. Vor der Kirche ging es in einen Sandweg hinein. Durch ein Eisentor. Crooner parkte seinen Wagen neben einem weinroten Opel Astra vor einem zweistöckigen Kratzputz-Kasten mit der Aufschrift »Schule«. Vorm Haus Brennnesseln, Gestrüpp, meterhohes Gras. Die Jungs traten die mit quer genagelten Brettern verstärkte Haustür auf, im Treppenhaus stank es nach DDR – Putzmittel, nach kaltem Stein und Pisse. Der Reporter trug Hut und hielt, während es die Treppe hinauf ging, das Aufnahmegerät mit gestrecktem Arm den Jungs hinterher. Ich hatte Angst, einen Spruch zu verpassen.

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13 Proberaum
    Der Proberaum lag im ersten Stock der Schule. Auf zwei Sofas, die um ein Schulpult herum vor einer großen Fensterfront standen, saßen Rampa und Eric, brennende Zigarette in der Hand, und tranken Bier.
    Man sah, neben den Jungs, eigentlich nur Müll. Die zwei Sofas sowie alle anderen Polstermöbel kamen vom Sperrmüll: ein weinrotes Ecksofa, ein Sofa mit NewWave-Muster. Etwa zwanzig leere Bierkästen, eine Aluleiter, ein Staubsauger. Auf der Fensterbank ein Videorekorder, ein Stapel

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