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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Gesicht. Da saßen beide auf der oberen der zwei Treppenstufen, in Trainingsanzüge aus dem Billig-Discounter gekleidet, sie barfuß, er in braunen Ledersandalen, er fummelte an einer Packung Zigaretten herum, und der Reporter dachte sofort: England, frühe Sechzigerjahre, in einer der grau-braun-schwarzen Arbeiterstädte, in Liverpool oder Manchester, kurz bevor die große Beatwelle losbrach. Oder noch mal ganz anders, noch früher: Deutschland, gleich nach dem Krieg.
     
    Ich stand vor der Holztür, sie griff sich an ihre Jackentasche, eine Stimme sprach: »Achtung, der Besitzer dieses Handys ist Kampftrinker.« Noch einmal die Ansage: »Achtung, der Besitzer dieses Handys ist Kampftrinker.« Sie hielt das Handy in der Hand, die Ansage war ihr Klingelton.
    Ich sah das Mädchen an.
    Ich sagte: »Hey. Wow. Ist das dein Klingelton?«
    Sie nickte. Erschrocken. Sprachlos. Das Mädchen im Hauseingang guckte von unten nach oben: von den Stufen im Hauseingang, auf denen sie saß, zum Tor im Haus nebenan, vor dem ich stand.
    Der Handyklingelton meldete: »Achtung, der Besitzer dieses Handys ist ein Kampftrinker … Achtung, der Besitzer dieses Handys ist ein …« Das Handy schwieg.
    Der Reporter ging einen Schritt vom Holztor weg, in Richtung der Stufe, auf der beide, der Junge und das Mädchen, saßen: »Das ist ja ein geiler Klingelton. Wo hast du den denn her?«
    Ich wusste jetzt komischerweise auch nicht, was eine sinnvolle Frage zu diesem Handyklingelton war, aber ich wollte mich unbedingt mit den beiden unterhalten: »Hast du den Klingelton im Internet heruntergeladen?« Das Mädchen guckte den Jungen an, dann weit weg und ganz woanders hin, die Straße hinunter. Sie legte eine Hand auf ihren Mund. Lachen. Unterdrücktes Lachen. Ein Teil des Lachens rutschte ihr als Prusten unter der Hand hervor. Der Reporter: »Hast du den Handyklingelton auf der Straße gefunden?« Beide, Junge und Mädchen, lachten laut heraus: Nein. Sie hatte den Klingelton nicht auf der Straße gefunden. Das Mädchen: »Den habe ich von meinem Papa.«
     
    Wilfried Finster saß vor seinem kleinen Fernseher in seinem Eck an der Pilsbar. Er guckte eine Dauerwerbesendung, einen Kellnerblock mit der Aufschrift Berliner Kindl vor sich auf dem Tresen, und hielt einen Bleistift über den Block. Anscheinend konnte bei der Werbesendung jeden Moment etwas gesagt oder ins Bild gehalten werden, was Herr Finster dann nicht verpassen und in seinem Block notieren wollte. Er übergab mir den Zimmerschlüssel, wobei er den Blick nicht vom Fernseher abwendete, mit den herrlich schlappen Worten: »Na? Mal wieder im Lande?« Ja, Meister Finster. Mal wieder im Lande.
     
    Das zweite Boxtraining verlief exakt so, wie ich mir das beim ersten Training vorgestellt hatte.
    Der Trainer begrüßte mich mit den Worten: »Was machstdenn du hier? Hattest du mal wieder Lust zu boxen?« Das war des Trainers ironische Anspielung darauf, dass ich zu den letzten beiden Trainingseinheiten am Dienstag und am Donnerstag nicht erschienen war. Und zu den Jungs, die in ihren Springseilen standen und auf das Kommando warteten, sprach der Trainer im selben lakonischen Tonfall, in dem alle Vergeblichkeit seiner bisherigen Ansagen auf eine grandios augenzwinkernde Art mitschwang: »So, dann wollen wir mal bisschen Boxtraining machen. Seil aufnehmen. Erste Runde.« Und sechs Springseile knallten rhythmisch auf die Bodenbretter.
    Der Tätowierte trug ein Krieger-T-Shirt mit dem Aufdruck »Blue Eyed Devils«, auf der Rückseite eine Kalaschnikow mit der Ansage »Mass Terror/To end it all«. Wie beim letzten Training war der Tätowierte auch dieses Mal etwa zwanzig Minuten zu spät in der Halle erschienen und hatte dann betont zügig das Seil aufgenommen und zu springen begonnen, als könne er den Regelübertritt durch Unterwürfigkeit wiedergutmachen. Ich stellte mir vor, dass der Tätowierte in einer Fabrik arbeitete, wo ihn der Vorarbeiter die zwanzig Minuten, die er an den Trainingstagen Dienstag, Donnerstag und Freitag gerne früher gehen würde, nicht früher gehen ließ.
    Das verdammte Knie.
    Ich mochte den Trainer und ich respektierte den Trainer – komischerweise auch gerade dafür, dass er mich als Boxer nicht ernst nahm. Ich ahnte, dass es wohl schon beim nächsten Training zu weit offeneren, aggressiveren Übergriffen gegen mich kommen würde, und dieser Übergriffe hätte ich mich, auf eine Art, die ich mir vorzustellen versuchte, während das Seil um mich herumschwirrte, dann zu

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