Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
Vom Netzwerk:
mit mir geschehen, ich wusste nicht, was es war, die Zukunft zog, die Abenteuer, die ich in den kommenden Tagen und Wochen bestehen wollte, saugten aus der Ferne, und ich wollte weitermachen, immer nur weiter los.

[Menü]
17 Waldstraße (Spaziergang II)
    Ich fuhr mit der Bahn nach Berlin und von dort aus mit dem Auto gleich wieder zurück in die Kleinstadt – es musste der Reporter aus der Ferne Schwung holen, um in die Vororte von Oberhavel vorzudringen. Der Reporter wollte – so konnte man es vielleicht sagen – erst noch einmal ganz Deutschland sehen, bevor es in die Vororte ging.
    A 10. Berliner Ring.
    Man rutschte von den Mietskasernen an der Stadtautobahn gleich in die graue Steppenlandschaft, das unbestellte Land vor Berlin, hinein: Es fand, anders als bei anderen Städten, zwischen Stadt und Umland kein fließender Übergang statt. Rauf auf die Autobahn und gleich wieder runter.
    Das Schild mit dem phänomenal dummen Werbeslogan: »Sei einzigartig, sei vielfältig, sei Berlin.«
    Gleich hinter der Autobahn konnte man eine Thüringer Rostbratwurst kaufen.
    Feldküche.
    Kutscherstube.
    Hamham Schnellrestaurant.
    Imbiss »Zur alten Tankstelle«.
    Frische Kirschen, frische Erdbeeren, Pfifferlinge.
    Da fuhr ein Heuwagen, der von einem Ackergaul gezogen wurde. Mann mit Arbeitsanzug und Gerte hielt die Zügel in den Händen.
    Deutschland-Fahnen, Harley-Davidson-Fahnen. Mein Lieblingsschild: »Sauna 200 Meter«.
     
    Gleich drei Mal musste man in Straßendörfern rechts und dann, nach vielleicht hundert Metern, gleich wieder links fahren, um dabei praktisch geradeaus zu fahren.
    Die brandenburgischen Alleen, in denen die müden, betrunkenen oder einfach unachtsamen Autofahrer sich zu Tode fuhren.
    Drei Kilometer vor der Kleinstadt tauchte das Schild »Obi 3 km« auf, dann, etwa fünfhundert Meter vor der Orts- einfahrt, die Obi-Fahnen-Reihe rechts am Straßenrand. Beim Passieren des Ortsschilds waren Reste der hieransässigen Industrie zu sehen: Backsteinschlote. Das Unternehmen ZIMK (Innovative Metall- und Kunststofftechnik).
     
    Und da kam mir, am Ortseingang, auch schon Tiger entgegengefahren – der Tiger, der in jener Suffnacht im Schröder seinen unvergessenen ersten Auftritt gehabt hatte. Er saß auf einem Klapprad. Mein Freund Tiger freute sich, mich hinter dem Lenkrad erkannt zu haben, seine roten Haare und die Fliegerjacke flatterten im Wind, er nahm, weil er sich so freute und ganz doll winken wollte, gleich beide Hände vom Fahrradlenker und bekam ihn gerade noch wieder zu fassen – er schwankte, kurvte da in absurden Schlangenlinien am Straßenrand entlang, wäre beinahe in den Graben gefahren.
    Mann, Oberhavel. Ich freute mich auch.
     
    Haus Heimat.
    »Mal wieder im Lande?«
    Ja, Meister Wilfried, alter Freund, alte Pappnase, mal wieder im Lande.
     
    Oben, im schmalen Flur zu meinem Zimmer, wurde ich von Frau Finster gestellt. Frau Finster hieß, so hatte ich das aufgeschnappt, Bertha mit Vornamen. Sie stand auf einem Hocker, klein, den Kopf unten, den Rücken unter die niedrige Flurdecke gebeugt, einen Haufen Bettlaken auf den Armen. Sie war soeben durch die Luke vom Dach herabgestiegen, wo die Bettlaken zum Trocknen gehangen hatten.
    »Na?«
    Sie musterte mich mit den von Weitsichtigenbrillengläsernvergrößerten Augen: misstrauische, neugierige, angriffslustige Äuglein. Frau Finster war auf Krawall gebürstet. Verkehrte Welt. Eigentlich hätte sie zögern müssen, weil ich sie in einer unvorteilhaften Lage überrascht hatte. Stattdessen gab sie mir ein komisches Gefühl, weil ich, mein gutes Recht als zahlender Gast, am helllichten Tag auf dem Weg in mein Zimmer war. Frau Finster schnaufte. »Haben Sie sich gestern zu viel hin und her gewälzt? Oder warum ist das Wetter heute schlecht?«
    Was?
    Der Reporter verstand mal wieder nicht.
    Wälzen? Wetter schlecht?
    Frau Finster machte mit einiger Anstrengung den Schritt vom Hocker runter auf den Flurboden. Stand da mit dem Wäscheberg auf den Armen.
    »Das sagt man so, alte Volksweisheit. Es wird doch nicht gleich regnen?«
    Regnen?
    Tatsächlich. Der Himmel hinter der Dachluke zog zu. Nette Frau, diese Frau Finster. Dachte der Reporter. Der Mensch musste sie, wie sie da stand, mit der Wäsche auf den Armen, auch schon wieder gernhaben. Ich fragte Frau Finster, ob sonst alles gut sei.
    »Gut?«
    Bertha Finster lachte und drückte dabei den Stapel Bettlaken an ihre Brust. »Was ist denn gut? Was soll denn gut sein?« Da merkte ich, wie wir so

Weitere Kostenlose Bücher