Deutschboden
Küchenboden auf und ab und machte seine Laute. Als ich das nächste Mal hinsah, hatte sich das Kind neben dem Assi vor dem Imbiss aufgebaut. Wie der Große hielt der Kleine die Arme verschränkt und guckte dabei genau wie sein Vorbild, so richtig schön dumm, leer, böse, grantig und widerlich aus der Wäsche. Man konnte denselben Typen Asozialen also in zweifacher Ausfertigung, einmal klein, einmal ein bisschen größer, nebeneinander am Imbiss stehen und auf den Marktplatz hinausschauen sehen. Das hatte sich das Kind perfekt abgeschaut: wie man als Kleiner, der noch zu klein zum Alkoholtrinken war, trotzdem schon wie ein richtiger Alkoholiker aussehen konnte. Es war ein trostloser und natürlich auch ein absolut lustiger Anblick: Hardrock-Schweinigel-Assi-AbschaumHartz-Höllen-Hausen.
Vor dem Haus Heimat hatte sich eine Gesellschaft feingemachter Gäste eingefunden. Rührender Anblick: Es standen dort keine Kleinstadt-Menschen, sondern die Bevölkerung vom Lande – der Bauer, seine Frau und der Sohn, für den sich noch keine Frau gefunden hatte. Männer mit gebügelten Jeansjacken, Frauen mit Schleifen um den Hals. Rosa war, bei Männern und Frauen, eine beliebte Farbe. Die Männer standen hinter ihren Frauen und hielten Fresskörbe als Mitbringsel in den Händen: viel Zellophanpapier. Die schönen warmen Abendlüfte des noch frühen Sommers. Von drinnen kam Musik: »Ich trage heute mein neues Kleid / Und habe Lust auf Zärtlichkeit/Ich kann heute nicht alleine sein/Brauche heute mehr als Träumereien …« (Helene Fischer, Fantasie hat Flügel ). Maria brachte Gläser. Sah herrlich angekotzt aus dabei.
Ich fragte Vater Wilfried, was hier los sei.
Goldene Hochzeit.
Schau an.
Wie lange musste man für eine goldene Hochzeit noch mal verheiratet sein, fünfzig oder hundert Jahre?
Das fand jetzt Vater Wilfried einen ziemlich guten Witz.
Ich rief, die Gesellschaft von der anderen Straßenseite aus betrachtend, bei meinem Kumpel in Berlin an. Er ging gleich dran und fing auch gleich an zu sprechen: Wo ich eigentlich steckte die ganze Zeit, ob ich auch durchblickte da im Wilden Osten oder ob man mir schon auf die Schnauze gehauen habe. Es war ein unendlich befreiendes und schönes Gefühl, den Kumpel auf der Spandauer Straße in Oberhavel am Ohr zu haben.
Dann gab er mir, weil das stets so zwischen uns gewesen war, die Partys durch, die ich in den letzten Wochen verpasst hatte, und rasch auch noch die kommenden Großveranstaltungen auf dem Berliner Parkett:
Zehn Jahre Greenwich Bar.
Die Midnight Session der Mercedes Benz Gallery.
Bruno Salzer und Escada baten zur Pink Party.
Die Zeitschrift Achtung lud zu einem Abend zu Ehren von Diors Kris Van Assche (DJs Hell und Fetisch).
Der Nachtclub Cookies feierte eine Woche lang am Stück.
The Corner lud zum Sale.
L’Estétic Cosmetics lud anlässlich der Premiere von Firma Men’s Skin Care zum Champagnerempfang ins Quartier 206.
Julia Stoschek bat ins Tower Apartment im Ritz Carlton.
Monika Sprüth empfing anlässlich der Eröffnung von Thomas Demands Nationalgalerie zum Abendessen im Café Einstein in der Kurfürstenstraße.
Andreas Slominski eröffnete bei Neu, Serge Jensen in den Kunst-Werken, Johannes Albers im Schinkel Pavillon, Daniel Richter bei Contemporary Fine Arts und Marc Bronner mit Neuen Arbeiten in der Galerie Crone.
Gegen 23 Uhr. Überall die Lichter aus. Überall Stille bis auf die Kleinwagen, deren Fahrer das Gaspedal durchdrückten, mal näher dran, mal weiter weg.
Es gab hier in der Kleinstadt absolut nichts zu erleben, und trotzdem, das spürte man, war überall hinter den Mauern, den Zäunen, Eisentoren und den heruntergelassen Rollläden der Teufel los: Grillpartys, Wohnzimmerpartys, Oldie-Partys, Oben-Ohne-Partys, Unten-Ohne-Partys, Über-Dreißig-Partys, Wodkapartys, sonstige Partys.
Ich drehte, wie so oft in diesen Wochen, meine Nacht-runden, die vollkommen sinnlos waren und die es total brachten.
In der Kopekenstraße – doch meiner Lieblingsstraße in der Kleinstadt, weil dies die Straße meines Hintereingangs war und weil hier mehr noch als in den anderen Straßen die miesesten, ärmsten und niedrigsten Häuser standen –, hier konnte ich etwa fünf Häuser hinter meinem Holztor, in der Kopekenstraße 5, einer besonders miesen, ärmlichen und geduckten Bude, hinter Rollläden, die halb heruntergelassen waren, eine Rentnerrunde um einen länglichen Esstisch eine Polonaise tanzen sehen. Die Rentner standen um
Weitere Kostenlose Bücher