Deutschboden
Zugang zur Rückseite des Hauses.
Garagen, mit schwarzen Planen bedeckte Geröllhaufen, Rohre, Fässer, gerollte Dachpappe, Apfelbäume, ein Jägerzaun. Vor einer Reihe Verschläge, Holzschuppen und Ställe standen Mülltonnen, war Brennholz gestapelt, lehnte ein Handkarren. Auf der hinteren Fassade des Hauses war über dem Putz ein Netz von Elektrokabeln angebracht und insgesamt – ich zählte – acht Fernsehschüsseln.
Da stand ich plötzlich, hoppla, vor einem Gartentisch, um den Stühle, Holzpflöcke, sonstige Sitzgelegenheiten standen. Auf der Bank, die vor einer Schuppenmauer lehnte, saß ein Mann – kurze Hosen, Vollbart – und sah mich an. Neben dem Mann stand ein Mädchen, vielleicht acht Jahre alt, ganz in Rosa gekleidet, rosa T-Shirt, rosa Stoffhose, auf dem weißblonden Kopf waren ein paar Strähnen zu einem lustig hochstehenden Haarpinsel zusammengebunden. Rosa war, das dachte ich noch mal, als ich das Mädchen ansah, eine maximal gemeine, lebensfeindliche und menschenfeindliche Farbe. Der Mann hatte eine Flasche Bier der Marke Stierbier vor sich stehen, daneben lag ein Päckchen Tabak. Einige Meter von der Bank entfernt war eine Ziege an eine Kette gepflockt.
Ich dachte an den Romantitel Der Alte, die Rosafarben e und die Ziege .
Der Mann griff nach der Flasche. Beide, Mann und Mädchen, sahen mich an.
Ich sagte: »Tachchen.«
Der Mann: »Ja. Guten Tag.«
Das Mädchen wollte etwas sagen, aber der Mann verbat ihm mit einer Handbewegung den Mund: »Du sollst still sein.«
Er trank. Er sah mich an.
Dann kamen wir irgendwie ins Reden. Der Reporter erfuhr, dass das Haus den Namen Zehnfamilienhaus trug. Es hieß so, weil es schon immer so geheißen hatte. Klar, früher hatten in dem Haus Zieglerfamilien gewohnt, so wie überall hier in der Gegend.
Er, der am Tisch hinter dem Haus saß, hieß Ernie. Seit zehn Jahren wohne er in dem Haus. Die anderen im Haus seien alles so welche wie er: alles Junggesellen, alles okaye Typen. Früher, so Ernie, habe er im Sägewerk gearbeitet, heute habe er als Hobby die Ziegen.
Das Mädchen saß in der Hocke, mit etwas beschäftigt, was vor ihm auf dem Boden lag, es stand auf, kam zu mir hingelaufen und zeigte in Richtung der Apfelbäume: »Früher stand da ein Haus. Das ist aber abgebrannt.«
Ich sagte: »Abgebrannt? Ehrlich? Ist ja ein Ding.«
Und das Mädchen trollte sich wieder, ging wieder mit den Dingen spielen, die da am Boden waren. Ernie machte Winkbewegungen in Richtung des Mädchens. Nein, das sei nicht seine Kleine, nach der Kleinen gucke er nur, wenn die Mutter auf Arbeit sei.
Der Reporter wollte wissen, was sich im Schuppen hinter der Bank befinde, auf der Ernie saß. Ernie wendete mühsam den Kopf: Wo? Da? Da drin? Da drin war mal eine Wäschekammer gewesen. Sei heute eine Müllhalde. Würde außerdem als Räucherkammer genutzt.
Ich stand immer noch da. Ich wollte wissen, was genau das war, das Ernie in seinem Schuppen räucherte. Er sah mich an mit seinen müden, kleinen Trinkeraugen. Er sprach langsam, mit schwerer Zunge, zählte die drei Worte eines nach dem anderen auf, wie ein wunderschönes Gedicht, dessen Tiefsinn ich nicht verstand: »Schinken. Speck. Aal.«
Wenn ich noch mehr Fragen hätte, so Ernie, dann sollte ich auf die Besitzerin des Hauses warten. Die arbeite als Altenpflegerin in Templin. In etwa zwei Stunden müsse sie hier sein.
Schon ein paar Hundert Meter weiter stieß ich auf eine Gruppe von Häusern. Wieder der alte Kratzputz. Hier noch einmal sehr schön zu betrachten: das Graubraunbeigeliche der alten DDR. Die Häuser standen eng beieinander, verbaut, verwinkelt, von Metallmauern umgeben, wie eine Festung. Auf der Wiese vor der Festung parkte ein silberfarbener Mercedes Kombi.
Über einem Wintergarten, dessen Fenster mit Brettern vernagelt waren, lehnte ein Schild mit der Aufschrift: »Ziegler Klause, Inhaber Kurt Friedrich.«
Das also war der Saloon, in dem die Ziegelarbeiter nach Schichtende ihre Biere und Schnäpse gekippt hatten. Es sah wilder aus als der Wilde Westen – zumindest in Filmen – je ausgesehen hatte: noch härter, dunkler, karger, menschenfeindlicher, gemeiner. Der Wilde Osten eben.
Eine Speisekarte empfahl eine Tasse Gulaschsuppe für 1,60 Euro, ein deutsches Beefsteak für 3,60 Euro, die Tasse Kaffee für 60 Cent. Es musste Jahre her sein, dass hier einer Essen bestellt hatte. Das Pilsener, das sie in der Ziegler Klause getrunken hatten, hieß Bärenquelle.
Auf der Straßenseite
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