Deutschboden
den Tisch, es wollte nicht so recht weitergehen, obwohl gerade die Technoversion von Roy Blacks Schön ist es auf der Welt zu sein gespielt wurde.
Ich dachte: Da hat man sein Leben lang, wahrscheinlich auch noch körperlich hart, gearbeitet, und zu guter Letzt in diesem Leben soll man zur Technoversion von Roy Blacks Schön ist es auf der Welt zu sein Spaß haben. Das war gemein.
Zwei Rentner standen abseits und klatschten. Es war keine Freude auf dieser Party. Klatschen und tanzen, das sah man hinter den halb heruntergezogenen Rollläden, war Arbeit, so wie alles in dem Leben dieser Rentnermenschen,auch das Saufen, Feiern, Fröhlichsein, stets schwere Arbeit gewesen war. Der Reporter, der vom Dunklen der Kopekenstraße in das Licht der Rentnerparty spannte – den Olympus-Stick am Mund –, konnte von drinnen nur schwer zu entdecken sein. Oder, Hilfe: Vielleicht sah man mich doch.
Als ich nach zehn Minuten wieder vor dem Haus mit der Nummer 5 stand, waren die Rollläden jedenfalls vollständig heruntergelassen. Aus der blickdicht verschlossenen Partybude hörte ich den entsetzlich schönen und scheußlichen Refrain von Coras Partyhit Amsterdam – dem Ost- Hit schlechthin, dem Schlager, den ich auf Partys in der Kleinstadt, gleich, ob sie in Autos, auf Volksfesten oder in der Diskothek Traxx stattfanden, immer wieder und am häufigsten hören sollte. Amsterdam , das war hier in Oberhavel so wie in jeder Kleinstadt des Ostens der Ruf der Tanzfläche, die Leute mussten sich dazu bewegen. Bis zum Ende meiner Zeit in der Kleinstadt hatte mir niemand erklären können, warum die Ost-Menschen ausgerechnet diesen Song so liebten wie keinen zweiten. Der Text hörte sich in etwa wie folgt an:
Komm, wir fahren nach Amsterdam,
Ich weiß, dass uns nichts passieren kann.
Du und ich, wir ham’s doch im Griff,
Dabei saßen wir längst auf dem sinkenden Schiff.
Bleib doch, habe ich noch gesagt.
Wie, hast du mich dann gefragt?
Liebe hat total versagt
In Amsterdam.
Traum von Amsterdam,
Der die Hoffnung nahm.
Allein in einer fremden Stadt,
Allein in Amsterdam.
Dann jaulte eine Gitarre, und ich stellte mir vor, wie sich die Rentner an den Händen fassten und Foxtrott tanzten. Der Reporter dachte noch einmal: Die Musik, die mich emotional am stärksten herausforderte, waren deutsche Schlager. Schlager waren ja wüster, aufwühlender und schockierender als der härteste Techno, der schwärzeste Heavy Metal, der am lautesten tosende Richard Wagner. Eben weil der Schlager immer beides war, die süßeste und die scheußlichste, die heilste und die kaputteste, verlogenste, verrottetste Musik überhaupt.
Harte Suppe.
Ich war stark bewegt.
Dann kam der vierte Morgen. Ich hatte einiges gesehen, aber das Theater am Marktplatz, die Tristesse, Verwahrlosung, Endzeitigkeit, die um das dicke Kind gewesen waren, hatten alle sonstigen Anblicke und Ereignisse geschlagen. Ich fühlte mich alt, müde, weit davon entfernt, weiter mutig nach vorne gehen zu können.
Der Reporter, der da draußen in der Fremde gegen die Dummheit, Schlechtheit und Unzivilisiertheit der hässlichen Menschen anrecherchierte:
Ging es eigentlich auch etwas weniger trostlos, traurig, weltschmerzig-katastrophig?
Dumme Sache.
Leider offenbar nicht.
Natürlich, auch als Reporter wurde man immer dümmer (die Aufnahmefähigkeit des Reporters musste abnehmen, einfach deshalb, weil seine Leidensfähigkeit begrenzt war). Gleichzeitig war ich mir sicher, dass meine Erlebnisse – ab jetzt – immer freakiger, irrer, wirrer, immer abgefahrener werden würden. Ich dachte an die Waldstraße, die Gegend nördlich der Kleinstadt, von der Raoul erzählt hatte und in der das hohe Gras, die Birken, Farne, Halme, Baracken, Garagen und zerfallene Backsteingebäude standen, die Reste der einst mächtigen Ziegelindustrie, auf die Oberhavel seinen wirtschaftlichen Aufstieg begründet hatte. Draußen in der Waldstraße wohnten – wie hatte das bei Raoul geheißen? – die Asozialen, das Kroppzeug, Gesocks, Geschmeiß, die Ex-Knackis, Alkoholiker, die Vollidioten.
Dieses Mal wollte ich die linke Abfahrt von der Straße nehmen. Wenn ich an die Reden dachte, die ich mit dem Champagnerglas in der Hand in der Berliner Runde geschwungen hatte, dann musste ich genau da jetzt hinein, ab zu den Asozialen, dann war genau das meine Abfahrt.
Ich hatte den Hut auf dem Kopf – ich war der Superreporter, mittendrin im Stoff und nicht zu stoppen, und irgendwas war
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