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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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dastanden, dass Frau Finster nach Parfum roch. Es war ein süßlicher, einfacher, aber kein schlechter Duft: Richtung Sommerwiese.
    Ich fragte, ob es nicht etwas – irgendetwas – in ihrem Leben gäbe, das schön sei.
    Sie dachte nach. Sie dachte wirklich nach. Ihr Kopf lag schief. Den Wäschehaufen drückte sie so fest gegen ihre Brust, als steckte in ihm, Wäschehaufen, eine Wahrheit drin, die nicht raus durfte. Sie zögerte, fing ein paar Sätze an, die sie nicht zu Ende sprach. Dann hatte sie ihre Geschichte gefunden. Frau Finster erzählte, dass sie mit ihrem Mann ab und an zum Einkaufen nach Spandau fahre. Da fände sie immer etwas Schönes, Tischdekorationsband zum Beispiel, den Meter zu einem Euro. Da könne man nicht meckern. So was gebe es hier nicht.
    Aha.
    Sie habe, so die nun gesprächige Frau Finster, einen Dekorationsfimmel, man könne das unten im Restaurant besichtigen, sie habe ja sonst keinen Fimmel, der Dekorationsfimmel allerdings sei ein ganz gehöriger.
    Na dann –
    Und, Frau Finster, wie wird das Wetter morgen?
    Sie lachte. Das fand sie lustig. Sie drängelte sich mit ihrem Ellbogen und der Wäsche in dem engen Flur an mir vorbei: »Kommt ganz darauf an, was Sie heute Nacht in Ihrem Bett alles anstellen.«
     
    Wieder unten, bekam ich von Meister Wilfried sein privates Fahrrad, das nach Supermarkt und nach 49,90 Euro aussah, zum einwandfreien Mietpreis von zwei Euro pro Tag geliehen.
    Der Reporter stand in der Haustür von Wilfried Finster, mit Hut, Schirm und dem Fahrradschlüssel in der Hand.
    Meister Finster sagte: »Mit Schirm, Charme und Melone.«
    Das fand er lustig. Ich fand das auch lustig. Wir verstanden uns, ja, mehr noch: Wir waren ab sofort – wenn es um die Launen seiner Frau ging, das Wetter und die wirtschaftliche Zukunft seines Hauses, alles Dinge, für die die Aussichten finster aussahen – Verbündete.
    Bevor es in die Waldstraße ging, wollte ich Raoul anrufen – ganz wichtig war das, keine Ahnung, warum: Bevor es ins Gestrüpp, in die Welt der Gräser, Halme, Farne, der Hütten, Baracken und verfallenen Fabriken ging, wollte ich die Stimme von Kraft und Klarheit – the voice of toughness und clearness – hören. Ich wollte den hören, der auf alles eine Antwort hatte.
     
    Zwölf Uhr mittags. Anruf Raoul. Ich stand unten vor der Gaststätte Schröder und stellte mir vor, wie es oben, in der Wohnung, die über der Gaststätte lag, klingelte. Mit dem Zustandekommen der Verbindung und dem ersten Tuten schepperte, mit ansteigender Lautstärke, die Billigpop-Nummer Barbie Girl der dänischen Pop-Gruppe Aqua los: »I’m a Barbie Girl/In a Barbie World/Imagination/ Celebration«.
    Es war ein toller Popsong.
    Und es war, natürlich, ein absolut quälender Song.
    Der eisenharte, mit allen Wassern gewaschene Raoul, der sich am Handy von einem rosafarbenen Barbie-Girl vertreten ließ – das war nicht schlecht, und das war, natürlich, die totale Ironie.
    »Ja, bitte?«
    »Ist da der Herr Raoul Schleusner, wohnhaft in Oberhavel, Spandauer Straße? Hier spricht der Reporter aus Berlin,derzeit ebenfalls Oberhavel, Haus Heimat, Spandauer Straße.«
    »Tachchen!«
    Er freute sich, mich zu hören. Raoul kündigte an, dass es heute Abend wieder in den Proberaum nach Kurtschlag ginge, ich könnte mitfahren: »Schön auf der Couch sitzen, dusselig labern, Molle dazu.« Crooner fahre, Treffpunkt sei um acht vor Schröder. Wenn ich heute aber nicht mitwolle, könne ich auch morgen oder übermorgen Abend mitfahren, Bandprobe sei jetzt fast jeden Abend. Am kommenden Samstagabend, so Raoul, habe die Band beim Sommerfest in Kurtschlag einen Auftritt – Motto: 260 Jahre Kurtschlag – mit Festzelt, Bierwagen und Discjockey, der Stimmungsansagen mache, das würde richtig scheiße, also richtig herrlich, das dürfe ich mir nicht entgehen lassen.
    Ich fand das gut.
    »Gut«, sagte auch Raoul.
    Ich erzählte Raoul, dass ich mit dem Fahrrad einen Ausflug in die Waldstraße antreten wolle: da herumstreifen, die Reste der Ziegelindustrie besichtigen, gucken, was für ein Volk da in den heruntergebrochenen Hütten wohnte. Mein Reiseziel für heute: das Land der toten Industrie, die Tonstichlandschaft.
    Er sagte nichts.
    Raoul sagte: »Denke mal, dass es gleich regnet.«
    Dann fragte Raoul: »Was willst du denn da bei den Assis?«
     
    Als ich am Asia-Bistro, an dem ich rechts gelaufen war, diesmal links fuhr, lag in dem Weiß, das sich um mich herum gelegt hatte, ein grandios gleißendes

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