Deutsche Geschichte
oft zum ersten Mal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei und in die Arbeitsfront, in die SA und SS, in das NSKK [das ›Nationalsozialistische Kraftfahrkorps‹] usw. Und wenn sie dort zwei Jahre oder eineinhalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs oder sieben Monate geschliffen, alle mit einem Symbol: dem deutschen Spaten! Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewusstsein oder Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf drei Jahre. Und wenn sie dann nach zwei oder drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in SA, SS usw., und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben.«
An anderer Stelle sagte er, er wolle »eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend, vor der sich die Welt erschrecken wird«. Sie dürfe »nichts Schwaches, Zärtliches« und auch nichts Intellektuelles haben.
Und damit niemand auf eigene Gedanken kam, wurde die Presse »gleichgeschaltet«, das heißt unter nationalsozialistische Aufsicht gestellt, wurden liberale und linke Journalisten, Schriftsteller und Künstler zur Auswanderung gezwungen oder in Konzentrationslager gesperrt. Ihre Bücher wurden in einer von Propagandaminister Goebbels angeordneten »Aktion wider den undeutschen Geist« am 10. Mai 1933 von Studenten überall in Deutschland verbrannt. Ihre Bilder und ihre Musik galten fortan als »undeutsch« und »entartet«. »Was seit 1922 dem deutschen Volk als Kunst aufgeschwätzt worden ist, ist auf dem Gebiet der Malerei ein einziges verkrüppeltes Gekleckse«, sagte Hitler dazu.
Auch die Universitäten blieben nicht verschont. Viele Wissenschaftler wurden entlassen, weil ihre Gedanken und/oder ihre Abstammung den Nationalsozialisten nicht passten. Und wer den neuen »deutschen Geist« nicht akzeptierte, weil ihm zum Beispiel eine »deutsche Physik« absurd erschien, musste gehen.
Dennoch hat nicht etwa die ganze deutsche Geisteswelt den Nationalsozialismus abgelehnt. Vielmehr hatte es schon in der Weimarer Republik Wissenschaftler und Künstler gegeben, die mit den Nationalsozialisten sympathisierten. Und wenn es nach dem 30. Januar 1933 immer mehr wurden, dann deshalb, weil eben auch intelligente Menschen ihr Mäntelchen gern nach dem herrschenden Wind hängen. Die deutsche Geisteswelt unterschied sich da nicht wesentlich von anderen Teilen der Bevölkerung.
Die große Mehrheit der Deutschen empfand die Herrschaft der Nationalsozialisten in den ersten Jahren ohnehin nicht besonders bedrückend. Dass man nicht mehr mit »Guten Tag!« oder »Grüß Gott!« grüßen sollte, sondern mit »Heil Hitler!« und erhobenem rechtem Arm, erschien zwar vielen Menschen übertrieben; aber wichtiger war ihnen, dass nach den oft chaotischen Zuständen am Anfang und Ende der Weimarer Republik ein »starker Mann« wieder für Ruhe und Ordnung sorgte. Auch dass Kinder und Jugendliche »Zucht und Ordnung« lernen sollten, war ganz im Sinne vieler Deutscher. Und weil durch Arbeitsbeschaffungsprogramme und die heimliche Aufrüstung nach und nach alle wieder Arbeit bekamen, wuchs die Zufriedenheit mit dem Regime.
Besonders stolz war man auf die ersten Autobahnen, obwohl man die wegen der wenigen Autos, die es damals gab, wirklich nicht gebraucht hätte. Dass sie als schnelle Aufmarschwege für den nächsten Krieg dienen sollten, ahnten die Leute nicht – und sie fragten auch nicht danach. Ebenso wenig wie nach den Menschen, die verhaftet wurden und verschwanden. Dafür sorgte auch Propagandaminister Goebbels. Die Deutschen lasen in Zeitungen, hörten am Radio und im Kino von 1933 an nur noch Lobeshymnen auf den Führer und die Partei und Hasstiraden auf die Gegner. Außerdem gab es viele Feste und Feiern mit Massenaufmärschen, deren Wirkung man sich nur schwer entziehen konnte. Und natürlich nutzten die Nationalsozialisten auch die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, um das Dritte Reich positiv darzustellen. Viele Deutsche waren stolz darauf, dass dieses größte Sportereignis zum ersten
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