Deutsche Geschichte
Nationalversammlung ein, sondern einen »Parlamentarischen Rat«, dessen 65 Mitglieder von den Landtagen gewählt wurden. Um das Provisorische zu betonen, sollte der Parlamentarische Rat keine Verfassung, sondern nur ein »Grundgesetz« ausarbeiten.
Am 1. September 1948 trat der Parlamentarische Rat erstmals zusammen und wählte den CDU-Politiker Konrad Adenauer zu seinem Präsidenten. Bei den Beratungen orientierten sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes an der Weimarer Verfassung, versuchten jedoch, deren Schwächen und Fehler zu vermeiden.
Der SPD-Abgeordnete Carlo Schmid forderte schon in der zweiten Sitzung: »Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm gerade bequem ist, wenn er nur einen willfährigen Gesetzgeber findet, sondern der Mensch soll Rechte haben, über die auch der Staat nicht soll verfügen können. Die Grundrechte müssen das Grundgesetz regieren; sie dürfen nicht nur Anhängsel des Grundgesetzes sein, wie der Grundrechtskatalog von Weimar ein Anhängsel der Verfassung gewesen ist.«
Diese Auffassung setzte sich durch und führte zu Artikel 1 des Grundgesetzes:
»(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.«
Auch über den Aufbau des Staates war man sich bald einig. Nach den Erfahrungen im Dritten Reich kam ein zentralistischer Einheitsstaat nicht in Frage. Der Artikel 20 des Grundgesetzes legte fest:
»(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.«
1968 wurde dem noch ein vierter Absatz hinzugefügt:
»(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.«
In Artikel 79 wurden die Grundrechtsartikel 1 und 20 als unaufhebbar bezeichnet. Sie sollten das Fundament des neuen Staates bilden.
Weil der Reichspräsident in der Endphase der Weimarer Republik durch seine starke Stellung eine verhängnisvolle Rolle gespielt hatte, wurden die Rechte des Bundespräsidenten deutlich eingeschränkt – manche sagten später etwas spöttisch, er sei kaum mehr als der »oberste Notar und Grüß-Gott-Onkel« der Republik. Dafür wurde die Position des Kanzlers gestärkt. Der Bundestag sollte ihn nur dann abwählen können, wenn er gleichzeitig einen neuen Kanzler wählt. Dieses »konstruktive Misstrauensvotum« sollte Weimarer Verhältnisse verhindern und stabilere Regierungen ermöglichen.
Genau vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation, am 8. Mai 1949, wurde der Grundgesetzentwurf mehrheitlich angenommen. Dagegen stimmten die KPD und sechs der acht CSU-Abgeordneten.
Die Westmächte genehmigten den Entwurf und am 23. Mai 1949 wurde das »Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland« verkündet. In der Präambel (der Einleitung) hieß es, der Parlamentarische Rat »hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden«.
Beinahe im Gleichschritt, aber mit völlig anderem Ziel entwickelte sich die staatliche Neuordnung in der Ostzone. Im März 1948 tagte dort ein von der SED dominierter »Deutscher Volkskongress«, der unter anderem den »1. Deutschen Volksrat« wählte, der eine Verfassung ausarbeiten sollte. Am 22. Oktober 1948 lag ein Verfassungsentwurf vor, der für ganz Deutschland gelten sollte. Das war zu jener Zeit allerdings illusorisch, weil die Entwicklung in Ost und West viel zu unterschiedlich verlief. Als Reaktion auf die Verabschiedung des Grundgesetzes wurde am 29./30. Mai 1949 die »Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik«, der DDR, vom 3. Volkskongress angenommen. Auch sie lehnte sich an die Weimarer Verfassung an, sah die allgemeine, gleiche,
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