Deutsche Geschichte Von 1815-1870
zu den Gelehrten, denen er vorhielt, wie sie wissentlich Falsches für Wahres, durch unwahre Mittel und Beweisgründe auszugeben trachteten. Sein Freimuth brachte ihn selbstverständlich wenig äußeren Gewinn, dagegen Schaden genug; man entfernte den jungen, gefährlichen Repetenten eiligst von dem Tübinger Stifte, an dem er lehrte und entzog ihm somit seine liebste Thätigkeit, bis ihm dieselbe durch die mächtig aufstrebende Universität zu Zürich sollte, wie es schien zurückgegeben werden, indem man Strauß um 1839 als Professor der Dogmatik und Kirchengeschichte dorthin berief.
Wir erinnern uns der Veränderungen, die in der Schweiz nach der Julirevolution stattgefunden hatten, und wie von da an die protestantischen Cantone ihr Hauptaugenmerk auf die Erziehung und Bildung des Volkes gerichtet hielten, damit es eine ersprießliche Theilnahme an dem öffentlichen Leben zu nehmen vermöge.
In gleichem Sinne wurde die Ernennung von
Strauß
von der radicalen Regierung beschlossen, aber dieselbe rief jetzt alle unterdrückten und reactionären Elemente des Canton's Zürich, auf's Neue unter die Waffen. Die Geistlichkeit schürte und hetzte die Bauern und das geringe Volk gegen die Radikalen und Aufgeklärten auf; die Conservativen klagten laut die »Strußen«, so nannte man die Anhänger des Berufenen, und die liberale Regierung des Atheismus, der Gottlosigkeit, des Abfalls vom Christenthume an. Die Bewegung wurde endlich so stark, daß es das Klügste war, nachzugeben; die freisinnige Regierung trat zurück, um einer conservativen das Feld zu räumen, und Strauß wurde, ehe er nur noch seinen Lehrstuhl eingenommen hatte, pensionirt. Wenn auch erschüttert und verletzt durch diese offene Feindseligkeit, setzte er doch unerschrockenen Geistes seine Arbeiten fort und 1843 erschien ein zweites Buch von ihm: die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwickelung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft, und bald sah er sich jetzt durch dieses und sein früheres Werk nach allen Richtungen hin in die heftigsten Streitigkeiten verwickelt, denen er durch haarscharfe Schriften und Entgegnungen tapfer die Stirne zu bieten verstand, dabei freilich immer mehr einsehend, daß es ihm schwerlich jemals mehr vergönnt sein werde, zu der Jugend seines Volkes vom Lehrstuhle herab reden zu dürfen. In jener Zeit war es auch, wo er sich mit der vielgefeierten Sängerin
Agnese Schebest
verheirathete, doch ohne dadurch einen Ersatz für das Verlorene zu finden.
Alle diese Vorgänge warfen so trübe Schatten in sein Gemüth, daß dies auf seine Ehe nicht ohne Einfluß bleiben konnte, sie entwickelte sich für beide Theile so wenig befriedigend, daß sie schon nach mehreren Jahren wieder getrennt wurde, weil beide Gatten einander in ihren verschiedenen Geistesrichtungen durchaus nicht verstanden. Mit Ehren aber hat Agnese Strauß den Namen ihres berühmten Mannes bis an ihr Ende getragen, geachtet und geliebt von Allen, die ihrem arbeitsamen Leben, welches sich wieder der künstlerischen Wirksamkeit, doch außerhalb der Bühne zuwandte, nahe standen, die ihren Fleiß und ihre Thätigkeit kannten. – Auch Strauß unablässig weiter arbeitend, wendete sich jetzt mehr und mehr von der Theologie hinweg, um Werke von mehr allgemeinem Interesse zu schaffen. Vom feinsten Schönheitsgefühle beseelt, Aesthetiker durch und durch, bezeigte er jetzt eine wahre Meisterschaft in den biographischen Darstellungen von solchen Männern, denen er sich selbst innerlich verwandt fühlte. Er wählte für seine Gestalten, die er mit der Feder ausmeißelte, wie es der Bildhauer mit seinen Marmorsculpturen thut, meistens solche Geisteskämpfer, die einestheils seinen theologischen Studien nahe standen oder sich anderntheils mit der Dummheit ihrer Zeit und der Willkühr ihrer Fürsten im grellen Widerspruch und Kampf befunden hatten. Um die Hauptgestalt gruppirte er dann die Zeitverhältnisse, die Denkungsart der Mitlebenden, so getreu und plastisch, daß man mit nie erlahmendem Interesse das Bild betrachtet, welches er vor unseren Augen erschafft. – So hat er uns
Julian den Apostaten
geschildert, so den unglücklichen Dichter
Schubert
, seinen genialen Landsmann, der an Fürstentyranney erbarmungslos zu Grunde ging. In der Biographie seines Freundes
Christian Märklin
schuf er ein Charakterbild aus der Gegenwart, an dem er entwickelte, welche inneren Seelenkämpfe der neuere und denkende Theologe durchzumachen hat. Sein
Nikodemus
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