Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Dinge ins Angesicht, als wie: »Mit der Kirche und dem Staate, wie sie sein können und dürfen, seien Redefreiheit und Oeffentlichkeit unverträglich!« und wieder bei einer andern Gelegenheit äußerte er sich: »Es sei jetzt die Zeit gekommen, wo man den wahren Glauben mit den kräftigsten Mitteln aufrecht erhalten müsse!« – Den warnenden Finger der Zeit, der sich hie und da drohend erhob, beachtete man nicht, oder man sah darin nur einen Beweis mehr von der zu bekämpfenden Gottlosigkeit. –
Vom Erzgebirge her machten sich jetzt die ersten Zuckungen der großen socialen Frage geltend, in dem Nothruf
der schlesischen Weber
, die unter dreifacher Bedrückung litten, unter der Entwerthung der Handarbeit durch die Maschinen, unter der Härte ihrer Arbeitgeber und der Theuerung aller Lebensbedürfnisse. Es war eine jener Krisen, wie sie in industriellen Uebergangszeiten sich häufig einstellen, aber das Unrecht bestand darin, daß man den davon Betroffenen nicht zur rechten Zeit hülfreich und mildernd zur Seite trat, daß man sie mitleidslos und vollständig der Willkühr des Arbeitsgebers überließ, der die armen Menschen bis zum Aeußersten auspreßte. Was ihnen dann noch blieb für des Leibes Nothdurft, das schmälerte der Steuererheber; jeder Webstuhl, jede Spindel waren besteuert, aber wozu dieses Geld verwendet wurde, davon erfuhr der Arme nie das Mindeste und er fühlte nur, daß ihm der Staat nichts davon zurückgab, um seine trostlose Lage zu lindern. Halb verschmachtet, ohne neue Erwerbsquellen, lagen Tausende in ihren elenden Hütten und mehr als einmal holte der Hunger die Todesopfer hinweg. Es war ein grausiges Nacht- und Seitenstück zu dem ästhetischen Leben am Hofe, den Vorlesungen, den Ordensfesten und den feierlichen Gottesdiensten; kaum wagte es die Presse nur davon zu lispeln, aus Furcht vor der Polizei und Censur. Da fühlten Kunst und Poesie ein menschliches Erbarmen und sie scheuten sich nicht, den Schleier zu lüften und für die Armen zu sprechen in ihrer Weise. Freiligrath dichtete damals sein ergreifendes Gedicht:
Rübezahl
, welches erzählt, wie das Kind des schlesischen Webers in seiner Todesangst den Riesen des Erzgebirges, den Hüter von dessen unterirdischen Schätzen anruft, um den Seinen Trost und Hülfe zu bringen, weil bei den Menschen kein Erbarmen mehr zu finden ist. – Zu dem Dichter gesellte sich der Maler und ernste Zuschauerkreise sammelten sich bei der rheinischen Kunstausstellung um das berühmt gewordene Bild von
Hübner: die schlesischen Weber
. Was der Stift des Censor's strich, das sagte hier der Pinsel des Malers ohne Scheu. Er schilderte den Jammer des Erzgebirges in dem resignirten Schmerz, den die abgezehrte Gestalt des Greises zeigt, in den Grimm, der die Faust des Mannes ballt, in der angstvollen Bitte und Klage, die aus den Blicken der Mutter und des jungen Mädchens spricht, die Alle ihre selbstgewobenen Leinwand-Päcke in das Haus des reichen Kaufherrn gebracht und der nun verächtlich die Waare prüft, sie annimmt oder zurückweist, die Ellenzahl verkleinert und endlich den Armen übermüthig ein Sündengeld zuwirft.
Ueber ganz Deutschland ist dieses Bild gewandert und hat überall die gleichen Gefühle der Sympathie wie des grimmen Schmerzes hervorgerufen, doch ohne Nutzen für den Augenblick. –
Unruhen in
Schlesien und Böhmen
, die in Folge der unerträglichen Zustände eintraten, wurden mit Waffengewalt niedergeworfen und der König dadurch nur noch mehr in seinem reactionären Wahne bestärkt. Ihn dann vollends jeder Nachgiebigkeit unzugänglich zu machen, erfolgte am 26. Juli das Attentat des Bürgermeister
Tschech
auf Friedrich Wilhelm. Es war eine rein persönliche Sache; Tschech glaubte sich von dem Ministerium persönlich zurückgesetzt und wollte sich dafür an dem König, dem
verantwortlichen
Staatsoberhaupte, rächen. Er feuerte in dem Augenblicke, da das königliche Paar an ihm vorüberfuhr, eine Doppelpistole auf den Fürsten ab; die erste Kugel drang in den Mantel des Königs ein, verursachte ihm aber nur eine leichte Quetschung, die zweite schlug über dem Kopfe der Königin in die Holzwand. Der König wollte Tschech begnadigen, wenn er um Gnade bitte, allein er wies dies Ansinnen zurück und starb mit kalter Entschlossenheit. Man bemühte sich natürlich, dieses Ereigniß mit den schlesischen Unruhen in einen Zusammenhang zu bringen und Beides als Vorläufer des Kommunismus und des Königsmordes zu betrachten, doch hatten sie
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