Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Frischlin
führte darnach den Leser in die Zeitverhältnisse am Ende des 16. Jahrhunderts zurück und zeigte ihm, wie deren Kümmernisse einen hochbegabten Mann geistig und sittlich zu Grunde richten konnten.
Am höchsten jedoch von Allem, was Strauß in dieser Hinsicht geleistet, steht sein
Ulrich v. Hutten
, ein zweibändiges Werk, welches eine solche Fülle des interessantesten, lebensvollsten Materials enthält, daß man es immer und immer wieder lesen und in sich aufnehmen möchte. Dieses Werk ist historisch wie literarisch gleich interessant, ganz abgesehen von der herrlichen Gestalt
Hutten's
, die uns da so lebendig entgegentritt als ob wir ihn persönlich gekannt denn mit diesem Manne ganz besonders, mit dessen heller, lichter Geistesklarheit, die ohne Menschenfurcht und ohne Scheu ihre Consequenzen zog, wo es der Wahrheit galt, verband Strauß die tiefste Sympathie.
Noch erwähne ich seine Biographie des Hamburger Senators
Reimarus
, jenes merkwürdigen Mannes, der erst auf dem Todtenbette seinen Kindern das Werk seines Lebens zu übergeben wagte, worin er seine eigenen Ansichten über das Wesen Christi und dessen Lehre, ganz in derselben rationellen Weise ausgesprochen hatte, wie es Strauß ein Jahrhundert nach ihm öffentlich that. Bruchstücke, aber auch nur Bruchstücke dieses Werkes von Reimarus hat ja dann Lessing später unter dem bekannten Titel der
Wolfenbüttler Fragmente
veröffentlicht, und Sie werden sich aus der Literaturgeschichte erinnern, welchen Sturm und welches Aufsehen jene Fragmente damals erregten, wie sie Lessing zur Genüge Haß und Verfolgung zuzogen. Nicht weniger ausgezeichnet als jene größeren Werke sind die kleinen Schriften von Strauß, meist literarischen und kunstgeschichtlichen Inhalts. – So vergingen ihm Jahre stillen, angestrengten Fleißes, als er sich in den 60ger Jahren, durch den Geist der Zeiten wieder auf den theologischen Kampfplatz gerufen sah. Kurz nachdem das bekannte Buch von Renan: »La vie de Jésus,« erschienen war, welches in populärster Weise ein Thema behandelt, das bis dahin nur unter den Gelehrten debattirt wurde, gab Strauß sein eigenes: »
Leben Jesu
« 1864 in zweiter Auflage heraus, jetzt aber für das deutsche Volk gleichfalls in Jedermann zugänglicher Weise bearbeitet. Es erregte jetzt in den weitesten Kreisen die gleiche Sensation, wie bei seinem ersten Erscheinen, und von diesem Zeitpunkte an schloß sich Strauß immer mehr jener populären Darstellungsweise wissenschaftlicher Dinge an, die als ein dringendes Erforderniß unserer Zeit erkannt wurde und die auch allein im Stande ist, die Resultate des Wissens und des Forschens zum Gemeingut zu machen. Er entging freilich dadurch nicht den Vorwürfen der zünftigen Gelehrten, die ihm schon bei dem Erscheinen seines: Leben Voltaire's vorwarfen, er schreibe nicht mehr wissenschaftlich genug. Mit noch größerer Erhitzung und Erbitterung wurde ihm dies entgegengeschleudert, als sein letztes und höchst bedeutungsvolles Werk:
Der alte und der neue Glaube
, erschien. – Tief ergriffen von den eminenten Resultaten der Naturforschung und der sich daraus ergebenden Schlüsse, hat Strauß in diesem Werke jeden Rest theologischen Bedenkens von sich geworfen, indem er seine letzten, innersten Gedanken aussprach und sich ohne Scheu auf die Seite der
philosophisch-materialistischen
Anschauung stellte. Ueber den literarischen Werth des Buches mögen sich Zweifel erheben, der politische Theil desselben mag Vielen schwach und beschränkt erscheinen – gleichviel, für den unerschrockenen Geistesmuth von Strauß, von seiner Wahrheitsliebe, legt es wiederum ein glänzendes Zeugniß ab. Es ist mehr als ein Buch mit seinen Mängeln oder Vorzügen, es ist eine That – und die Zukunft unserer geistigen Entwicklung wird darüber zu entscheiden haben, ob Strauß am Ende seiner Tage ein wahrer oder ein falscher Prophet gewesen. Mit reger Theilnahme blickte ganz Deutschland auf das Ende seines vielgeprüften Lebens, das ihn nach schweren körperlichen Leiden im Frühjahr 1874 dem Tode und, nach seiner Anschauung, der Vernichtung entgegenführte, der er heiter und mit sokratischer Ruhe in's Angesicht schaute, überzeugt davon, daß sein Denken und Wirken für die Aufklärung der Menschheit ein segensvolles gewesen.
Wenn ich mich etwas lange bei dem Lebensbilde dieses Mannes aufgehalten habe, so geschah es darum, weil sein eigener Geisteskampf auch zugleich ein Abbild der geistigen Kämpfe ist, die seit dreißig
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