Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Jahren unsere Zeit bewegen und in deren Strömungen wir noch mitten inne stehen. – An die genannten Männer schließt sich dann noch eine lange Reihe von Solchen an, die im gleichen Sinne der Aufklärung wirkten, und deren Koryphäen ich nur zu nennen brauche, um daran zu erinnern, was sie Großes geleistet oder wozu sie den Anstoß gegeben.
Alexander v. Humboldt
, der noch in seinen letzten Lebensjahren das Interesse der Gebildeten an den inneren Vorgängen des gesammten Naturlebens so mächtig förderte,
Justus Liebig
, der die Gesetze der organischen Chemie entdeckte und damit der Wissenschaft Bahnen eröffnete, von denen sie nie zuvor geträumt hatte. Zu ihnen gesellten sich die Geschichtsschreiber und Forscher:
Schlosser, Dahlmann, Ranke, Häusser
und Andere, die nach der gleichen Methode des Untersuchens und Abwägens ihr Feld bebauten, wie Jene, aber erst um 1848 ihre volle Bedeutsamkeit erhielten. Auch sie rückten jetzt durch eine veränderte Darstellungsweise das Studium der Geschichte dem Verständnisse des Gebildeten so viel näher und belebten die trockene Erzählung durch eine lichtvolle Entwicklung der Begebenheiten, nach deren eigenen inneren Gesetzen.
Diese gemeinsame Regsamkeit auf allen Gebieten des Wissens erhob den Muth, und begeisternd durchzuckten ihre Blitze die dumpfe Schwüle, die sich ahnungsvoll mehr und mehr über ganz Deutschland auszubreiten begann, während keck und kecker die leichte Reiterei der politischen Dichter nebenher plänkelte und oft mit einer einzigen Strophe, einem hingeworfenen Reim, die Geister tiefer ergriff und fortriß, als es die langsamere Ueberlegung zu thun vermochte.
Die deutsche Lyrik, längst von dem wesenlosen Scheine der Romantik befreit, nahm einen neuen Aufschwung, eine neue Richtung durch den Einfluß der
schwäbischen Dichterschule
und deren unvergeßlichen Heerführer –
Ludwig Uhland
. Es war klarer, lichter Morgen, der mit ihm hereinbrach; eine einfache, schlichte, verständige Auffassung der Natur sprach wieder aus diesen Poesien, ein kräftiges Bild des Mittelalters, so wie es wirklich gewesen, trat dem Leser daraus entgegen, verbunden mit einem patriotischen ächt deutschen Wesen. Wie hatte aber auch noch der alte Goethe seine große Freude an Uhland und an dessen dichtenden Freunden, und gerne mochte er manchmal, seiner eigenen Thätigkeit und der des Freundes gedenkend, ausrufen: »Ja, hätten wir, der Schiller und ich, eine solche Sprache vorgefunden, wie wir sie diesen hinterlassen, was wären wir dann erst für
Kerle
geworden!«
Wie nun aber
Uhland
uns zuerst durch seine Dichtungen und Schriften die eigentliche Literatur des Mittelalters erschloß, uns auf's Neue die Minne- und Meistersänger kennen lehrte, so muß man ihn auch als den ersten politischen Dichter Deutschlands aus der neuen Zeit bezeichnen, und Proben davon haben wir schon gehört. Ganz ähnlich wie sein Liebling,
Walter v. d. Vogelweide
, so ließ er die Klagen, Wünsche und Hoffnungen einer düsteren Gegenwart aus seinen Liedern erklingen, und in gleich patriotischem Sinne dichteten seine Freunde,
Gustad Pfitzer, Karl Mayer, Eduard Möricke
und
Gustav Schwab
, der sich namentlich durch die Herausgabe der Volksbücher: des hörnenen Siegfried, der schönen Magellone, des Dr. Faust u.s.f. ein hohes Verdienst erwarb. Rechnen wir dazu unsern unvergleichlichen
Hebel
, der die ganze Treuherzigkeit der früheren Sprachweise durch seine
allemannischen
Lieder neu belebte, und einen ächt deutschen innigen Volkston in sie zu legen wußte, so mochte man hoffen, daß Deutschland nicht verloren gehen könne, so lange es noch solche und ähnliche Dichter besaß, und je heißer der politische Kampf wurde, je schärfer die Gegensätze aufeinander platzten, desto entschiedener und kräftiger griffen sie in die Saiten. An den ernstesten Gegenständen selbst versuchte sich diese moderne, kampfesmuthige Lyrik; einen Pendant gewissermaßen zu dem »Leben Jesu« bildete das um 1842 herausgegebene
Laien-Evangelium
von F. v.
Sallet
, einem der edelsten und reinsten Dichter, den Deutschland je besessen. Nichts in der Welt galt ihm so hoch, als Freiheit und Wahrheit, und im idealsten Sinne haben seine poetische Productionen dafür gekämpft, bald mit hohem Schwunge, bald mit Spott und Erbitterung Auch er hat mehr als einmal sein Volk herbe gezüchtigt, aber ähnlich wie Börne, aus Liebe, nicht aus Gleichgültigkeit, wie er denn überhaupt mit diesem eine große geistige Verwandtschaft zeigte.
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