Deutsche Geschichte Von 1815-1870
erschien, der bald auch wieder in Jedermanns Händen war. Mit der Laterne durchstreift der Wächter der deutschen
Nacht
das deutsche Land, und singt auf allen Straßen und an allen Thüren, wo es bedeutungsvoll erklingen konnte, vor Königsschlössern, Ministerhotels, Bankier pallästen und auf der Eschenheimergasse, sein Lied, bald in herbem Spotte, bald mit tiefer, süßer Innigkeit.
Unendlich zündender jedoch, als die Genannten, wirkte
Georg Herwegh
auf seine Zeitgenossen mit seinen »
Gedichten eines Lebendigen
.« Man kann sagen, daß er eine Weile gefeiert und vergöttert wurde, wie es selten einem deutschen Dichter geschieht, denn er traf die innerste Gemüthsseite des deutschen Wesens; nicht mit Spott und Satyre focht er für die gute Sache, sondern mit einem erhabenen Pathos, einem fortreißenden Schwung, der geradezu begeisternd wirkte. Mochte auch Manches in seinen Gedichten unklar sein – gleichviel, man fühlte nur darin den Pulsschlag der Zeit in einem Tempo, der jedes Herz erschütterte. Herwegh nannte seine Gedichte die »des Lebendigen«, im Gegensatze zu dem fürstlichen Schriftsteller
Pückler-Muskau
, der seine Reisen und Erlebnisse in »Briefen eines Verstorbenen«, mittheilte, weil es doch gar bürgerlich für einen Fürsten gewesen wäre, mit seinem hohen Titel unter die Literaten zu gehen. Der parfümirte, aristokratische Ton dieser Briefe, durchsetzt mit französischen und englischen Redensarten, ärgerte die junge Schriftstellerschaar, und wie sittlich durchfressen in der That dieses fürstliche Leben gewesen, davon legen seine nachgelassenen Briefe und Tagebücher Zeugniß ab, die gerade jetzt, von der unermüdlichen Ludmilla Assing herausgegeben, erschienen sind.
Herwegh gehörte zu der Zahl Derjenigen, die viel oder Alles von Preußens König hofften, und wir haben bereits gehört, in welcher Weise er den König besungen und wie unbefriedigend für den Dichter die Berührung endigte, in die er sich dadurch zu Friedrich Wilhelm gebracht sah.
In andern seiner Gedichte predigte er offen Krieg oder Revolution:
»Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird's verzeih'n!
Gen Tyrannen und Philister!
Auch das Schwert hat seine Priester,
Und wir wollen Priester sein!«
Herwegh war, wie bald auch sein Mund wieder verstummte, ein ächter Dichter von »Gottes Gnaden«; von unendlichem Wohlklang sind seine Sonette und sie drücken den Gedanken, der sie beseelt, fast immer voll und ganz aus. Für die Stimmung der Zeit aber am bezeichnendsten und darum auch für unseren Zweck, kann ich es kaum umgehen, sein Gedicht: »An das deutsche Volk!« hier ganz mitzutheilen:
»Deutschland, o zerrissen Herz,
Das zu Ende bald geschlagen,
Nur um Dich noch will ich klagen,
Und in einer Brust von Erz
Will ich meinen kleinen Schmerz,
Meinen kleinen Jammer tragen.
Vaterland! um Dich nur klagen!
Lustig grünt Dein Nadelholz,
Lustig rauschen Deine Eichen;
In den sechsunddreißig Reichen
Fehlt ein einzig Körnchen Gold's;
Freier Bürger hoher Stolz
,
Fehlt im Lande sonder Gleichen,
In den sechsunddreißig Reichen!
Wenn ein Sänger für Dich focht,
Wenn ein Mann ein Schwert geschwungen,
Hast Du scheu nur mit gesungen,
Hast Du schüchtern mit gepocht,
Und man hat Dich unterjocht,
Hat Dich in den Staub gezwungen,
Weil Du gar so still gesungen!
Ihr beweinet's und bereut's –
Und das nennt Ihr deutsche Treue?
Laßt die Thränen, laßt die Reue,
Soll nicht einst der Enkel Teut's,
Sterben an der Zwietracht Kreuz,
Kämpf' und handle, Volk, auf's Neue,
Denn der Teufel ist die Reue!
Tritt in Deiner Fürsten Reih'n,
Sprich: Die sechsunddreißig Lappen
Sollen wieder besser klappen
Und
ein
Heldenpurpur sein!
Ein Reich, wie
ein
Sonnenschein!
Ein
Herz,
ein
Volk und
ein
Wappen,
Helf' uns Gott – so soll es klappen!«
Herwegh war nach seiner Ausweisung aus Preußen nach der Schweiz zurückgekehrt. Trotz aller Erregung, die seine Poesien hervorgerufen, konnten sie ja doch an den bestehenden Zuständen nichts ändern; noch war die Zeit nicht reif, noch mußten immer neue Anstrengungen gemacht werden, das deutsche Volk emporzurütteln und nun greift nach Herwegh wieder ein Sänger in die Harfe, den man schon seit lange kannte und verehrte, der aber jetzt seine Weisen in eine andere Tonart umsetzte, es war
Ferdinand Freiligrath
. Seine Muse hatte ihn bis dahin in den Orient und an die weit entlegenen Küsten Amerika's oder Afrika's getragen,
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