Deutsche Geschichte Von 1815-1870
sollte sich nun unmittelbar auf ganz Deutschland übertragen.
Alles in Allem genommen, war man in den zwei bis drei Jahren, die dem allgemeinen Ausbruche in Deutschland vorangingen, sich wohl bewußt, auf dem Wege ruhiger Reformen angekommen zu sein, die man durchzuführen entschlossen war. Man sprach von einer Revolution des Geistes, deren siegreichem Vorwärtsdrängen nicht mehr zu widerstehen sein werde, und man mochte sich bei dieser Annahme auf mancherlei Thatsachen stützen, namentlich auf die wachsenden Fortschritte der deutsch-katholischen und frei-christlichen Bewegung, die sich nicht mehr hemmen ließ. Auch eine Reihe protestantischer Theologen hatten sich derselben angeschlossen;
Wislicenus
in Halle,
Uhlich
in Magdeburg, suchten den wachsenden Einflüssen des Pietismus durch die Bildung von frei-religiösen Gemeinden und der Verbreitung von Blättern, die theologische Dinge im Sinne der Aufklärung besprachen, entgegen zu wirken. Von großem Einfluß auf die untern Volksklassen waren auch bildende Vorträge, welche außer dem sonntäglichen Gottesdienst, von den Leitern der deutsch-katholischen Gemeinden veranstaltet wurden; dorthin, sowie in die Sonntagsandacht, drängte sich bald Alles, vornehm wie gering, Protestanten wie aufgeklärte Katholiken, die, wenn sie auch nicht übertraten, mit gespannter Aufmerksamkeit den Worten der Redner und Prediger lauschten, in deren Vorträgen sich Religiöses, Politisches und Nationales in oft hinreißender Weise mischte. Als Hauptredner gefeiert waren Ronge, Dowiat, Kerbler, Duller, Hieronimy, Weigelt, Kampe, Scholl und wie sie Alle heißen, die sich damals als Apostel der neuen Lehren aufthaten. Daß verschiedene protestantische Theologen zu dem Deutsch-Katholicismus übertraten, gab ihm eine größere Vertiefung, einen größeren geistigen Gehalt, mehrte aber auch die Gefahren, die ihn bald von allen Seiten umdrohten.
So war die neue Religion trotz mancher Schwächen, die ihr anhafteten, in jenen Tagen ein mächtiges Ferment, ein Hebel für voranstrebende Geister; daß sich bald das Politische weit mehr hinein mischte, als für eine religiöse Genossenschaft zweckdienlich sein konnte, lag zu sehr in der Natur der Sache, als daß man einzelne Persönlichkeiten dafür verantwortlich machen dürfte und wenn heute auch der Deutsch-Katholicismus wenig mehr bedeutet, so wird er doch als eine Phase unserer Fortentwickelung immer von großer historischer Wichtigkeit bleiben
In Süddeutschland, wo man ihn überhaupt am längsten geduldet, wurden
Ronge
und sein Mitgenosse
Dowiat
, als sie im Sommer und Herbst 1846 eine Reise durch Südund West-Deutschland machten, mit der großartigsten Begeisterung empfangen. Der Zielpunkt ihrer Reise war damals das streng-katholische
Mainz
, und je näher sie dahin kamen, je höher steigerte sich der Enthusiasmus. Ueberall von den angesehensten Bürgern der verschiedenen Städte, die sie berührten, eingeholt und wieder fortgeleitet, so zogen sie vom Neckar herunter durch die Bergstraße nach dem Rhein. Ovationen jeder Art wurden ihnen bereitet, Fackelzüge, Serenaden, festlicher Empfang und Ronge sah sich förmlich erdrückt durch die kostbarsten Ehrengeschenke, silberne Pokale, Lorbeerkränze, Schreibzeugé, goldne Federn und was dergleichen mehr ist, die ihm von allen Seiten zuflossen. Als die Reformatoren, wie man sie nannte, Darmstadt verließen, nachdem sie mehrere Tage dort verweilt und gepredigt hatten, folgte ihnen wieder ein langes Ehrengeleite von Wagen bis hinaus vor die Stadt. Die Aufregung war so groß, daß ein förmlicher Abschied war polizeilich verboten worden, wer aber konnte die Bevölkerung daran hindern, sich nach dem nahen Fichtenwalde zu begeben, um hier die Gefeierten zu erwarten. Dort sammelte sich Alles auf einem großen freien von hohen Tannen umringten Platze, Jung und Alt, Vornehm und Gering – und als der Wagen mit den zwei jungen Männern erschien, die bis bis an die Schultern in Blumén saßen, welche man ihnen während der Fahrt durch die Stadt zugeworfen hatte, brach ein tausendstimmiger Jubel aus, und ein begeisterter Gesang trug die Töne des alten Lutherliedes hinauf zum wolkenlosen Himmel und in das Grün der Tannen. Unter Lebehochs und Tücherschwenken setzten dann die Reformatoren, auf die man die begeistertsten Hoffnungen baute, ihre Reise weiter fort. Dies eine Beispiel möge für hundert ähnliche genügen. Der gleiche Drang zu öffentlichen Demonstrationen zeigte sich allerorten; daß die
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