Deutsche Geschichte Von 1815-1870
von Herrschaften endlich bis auf 38 reducirt worden; von den vielen alten
Reichsstädten
waren nur noch
vier
übrig geblieben und man mochte wohl im verschwiegenen Herzen der Hoffnung Raum geben, daß dieser natürliche Proceß sich fortsetzen und daß nach und nach ein ganzes, geeinigtes Deutschland aus diesen Bruchtheilen erstehen werde. – Dies aber jetzt schon auszuführen, dazu konnten sich die jetzigen Machthaber um so weniger entschließen, als man ja gerade das souveräne Fürstenthum
restauriren
, und durchaus nicht auf dem von Napoleon begonnenen Wege des Umstürzens bestehender Verhältnisse beharren wollte. Nach dem Gesetze der Trägheit, das den Wiener Congreß beherrschte, entschloß man sich also, das
gegenwärtig Bestehende
mit wenigen Aenderungen und Ausnahmen in jener buntscheckigen Zusammensetzung, wie sie Napoleon ohne Rücksicht auf Namensverwandtschaft, historische oder geographische Zusammengehörigkeit beliebt hatte, fortbestehen zu lassen. Es wird hier darum am Platze sein, den selbst heute noch nicht ganz überwundenen Stützpunkt des Particularismus, auf den man sich bis zum Jahre 1870 stets von Seiten Vieler mit so großer Vorliebe berief, etwas näher zu betrachten. Man behauptete bis zum Ueberdruß, die
deutsche Vielstaaterei
sei das Ergebniß von
Stammesverschiedenheiten
und man dürfe das, was eine uralte Tradition zusammengefügt, nicht willkührlich zerreißen und anders gestalten wollen. In der Wirklichkeit aber hat es einen
hessischen
, einen
badischen
, einen
nassauischen
Stamm u.s.w. niemals gegeben, und man ist um so weniger dazu berechtigt, solches auszusprechen, als gerade der Friedensschluß von 1815 nicht einmal die mindeste Rücksicht auf
das
nahm,
was
wirklich
Jahrhunderte
lang zusammengehört hatte, wie dies z.B. bei der Neugestaltung Oestreichs und Baierns der Fall war. – In Wahrheit können wir in Deutschland nur von
drei Hauptstämmen
sprechen, deren Merkmale, namentlich in Bezug auf Sprache, geistige Anlage und Volkssitte, sich heute noch geltend machen, dies ist im Süden der
schwäbische
oder
allemannische
, im Norden der
sächsische
und im mittleren Deutschland der
fränkische
Stamm, wobei noch wohl zu bemerken, wie im Süden sowohl als im Norden, der schwäbische wie der sächsische Stamm weit über die Gränzen Deutschlands hinausreichen. –
Diese 38 Staaten nun, höchst mangelhaft arrondirt, jeder nach eignem Gefallen regiert, mußten die größten Schwierigkeiten darbieten, um nur Verkehrswege herzustellen, Zollbestimmungen zu treffen, Handel und Industrie nach einem großen Maßstabe zu betreiben. – Wie viel größer aber noch waren die Schwierigkeiten zwischen 38
souveränen
Staaten, deren Größenverhältnisse von dem Kaiserthum Oestreich bis zu dem Fürstenthum Lichtenstein herab variirten, ein
einheitlich-nationales
und
staatliches
Band zu knüpfen; daß aber ein solches von höchster Nothwendigkeit sei, davon waren nicht allein die deutschen, sondern auch ebensosehr die auswärtigen Staatsmänner durchdrungen, und der englische Minister
Lord Castlereagh
hat es damals in einer Denkschrift klar und scharf hervorgehoben, wie die
politischen Verhältnisse
Deutschlands eine der Hauptursachen gewesen seien von dem Uebergewicht, welches Napoleon und die Revolution in Europa erlangen konnten. »Es sei darum schon im
allgemeinen
Interesse des Welttheils eine
föderative
Verbindung Deutschlands durchaus nothwendig.« –
Nun müssen wir aber leider gestehen, daß manche der
auswärtigen
Staatsmänner den deutschen Interessen damals mehr Theilnahme zugewendet haben, als die meisten der Unsrigen. – Schon während des ersten Feldzugs in Frankreich wurde im Hauptquartier zu
Chaumont
von den Mächten durch einen besonderen Vertrag festgesetzt, daß Deutschland eine
Bundesverfassung
haben solle, und welcher Mann wäre nun mehr dazu geeignet gewesen, eine solche abzufassen und durchzuführen, als der
Freiherr von Stein
. Er arbeitete denn auch wirklich den Entwurf einer solchen nach bester Ueberzeugung und Einsicht aus; dieser Entwurf wurde die Grundlage zu einem zweiten, den er darnach in Gemeinschaft mit
Fürst Hardenberg
und dem
Grafen von Solms-Laubach
in 41 Artikeln entwarf. Darin war zwar schon Manches nachgegeben, aber ganz gewiß wäre auch dieser zweite Entwurf noch vollständig dazu geeignet gewesen, Deutschland zu einigen und zu beglücken, in so fern die zunächst dabei Betheiligten ihn annehmen
wollten
.
Leider kam der 2. Artikel dieses Entwurfes
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