Deutsche Geschichte Von 1815-1870
wichtigen deutschen
Ostseeprovinzen
; zu
Neapel
, wo die verhaßte bourbonische Königsfamilie neu eingesetzt wurde, zwingt man das widerstrebende
Sicilien
, und das unglückliche Polen seufzte auf's Neue unter
Rußlands
Herrschaft – mit einem Worte, der Tag konnte nicht ausbleiben und wir haben ihn erlebt, wo das empörte
Nationalitätsgefühl
sich geltend machte, die Völker, die man nicht um ihren Willen befragt hatte, ihr Selbstbestimmungsrecht verlangen mußten. Es nutzte nichts, daß man jetzt diese mangelhaften menschlichen Einrichtungen durch die Satzungen der heiligen Allianz unter den directen Schutz des Himmels zu stellen suchte. –
Das Falsche und Ungerechte derselben wurde dadurch nur noch schwerer und drückender empfunden. –
Der Plan zu dieser
heiligen Allianz
war wie schon erwähnt in dem phantastischen Kopfe Kaiser Alexander's entstanden, des Mannes, der ein beherzigenswerthes Beispiel dafür liefert, wie ein Idealist und Schwärmer, wenn ihm die reelle Grundlage eines festen und tüchtigen Charakters, eines klaren Kopfes fehlt, stets mehr Unheil und Verderben als Gutes stiftet, mag auch sein Wollen und Wünschen das Beste sein. – Schön, liebenswürdig, von leicht erregbarem Geiste, sah Katharina II. in diesem Enkelsohne den Fortbildner ihrer Plane, gegenüber ihrem eignen Sohne Paul, der den russischen Typus des Halbbarbaren wieder an sich tragend, dazu wenig geeignet erschien. – Alexander sollte, wie seine Großmutter, fortherrschen im Sinne des aufgeklärten Despotismus; der Russe sollte, halb mit Gewalt, eingereiht werden in die Gesellschaft der civilisirten Nationen – zur Ausführung dieser Pläne jedoch bedurfte es anderer Herrschergaben, als sie Alexander besaß, dessen weiche Natur stets durch Andere geleitet und geführt wurde. Sein Lehrer Laharpe, den Katharina aus Genf für ihn hatte kommen lassen, erfüllte ihn mit Rousseau'schen Ideen, mit den Aufklärungs- und Humanitäts-Vorstellungen des 18. Jahrhunderts, doch seine frühe Heirath mit der Prinzessin Louise von Baden, sowie Zerstreuungen aller Art, zu denen sich die Freude an weltlichen Genüssen, die ihn bis an sein Lebensende beherrschte, gesellte, ließen einen rechten Ernst, ein consequentes Handeln niemals in ihm aufkommen. Sehr treffend nannte ihn ein Zeitgenosse eine Art Fénelon'schen Telemach, aber in diesem Telemach hatte sich nebenbei durch seine Stellung zwischen Vater und Großmutter eine recht tiefe Verschlagenheit und versteckte Klugheit ausgebildet, die Preußens Königspaar bei dem unglücklichen Friedensschlusse von Tilsit zur Genüge erfahren mußte. Mit 23 Jahren über die Leiche seines gemordeten Vaters hinweg zum Throne berufen, versuchte und erstrebte Alexander für sein Von manches Gute und Fördernde, namentlich die Aufhebung der Leibeigenschaft, aber es fehlte ihm, wie immer, auch darin die Consequenz in der Durchführung. Doch gehört dies nicht hierher – wir haben uns für unsern Zweck nur die Stimmung des Czaaren nach seinem Bruche mit Napoleon um 1812, und während der Invasion der französischen Armee in Rußland zu vergegenwärtigen. Es war eine furchtbar schwere Zeit, die damals auf ihm lastete – die Noth und Verwüstung seines eignen Bodens, der Brand von Moskau, endlich die Entscheidung, ob er den Kampf im Namen Europa's aufnehmen solle oder nicht – dies Alles stürmte zugleich auf ihn ein. – Zu edlen Impulsen jederzeit fähig, sehen wir ihn dann gewissermaßen als den Befreier vom Napoleon'schen Joche unerschütterlich vorangehen; die große Rolle, die er dabei spielte, hob sein Selbstbewußtsein wieder mächtig empor. Wie er aber später die ritterliche Großmuth gegen die Franzosen zu weit trieb, sich damals den Beinamen des »Edlen« erringend, dies haben wir kaum erst gehört, wie wir auch heute genauer, als damals wissen, was alles im Hintergrunde dieser Großmuth schlief. – Das Jahr 1815 sah den Czaaren auf dem Gipfel seiner Macht; der Friedensstifter der ganzen Welt wollte er nun noch diesem Frieden, um ihn ganz zu befestigen, jene religiöse Weihe geben, von der er sich seit 1812 selbst ergriffen fühlte.
In den Tagen seiner Noth und Trübsal hatte er zu der Bibel gegriffen und in seinem grübelnden Geiste zwischen diesem Buche und seinem eignen Leben und Schicksal, eine Menge von Beziehungen gefunden. So schöpfte er schon damals aus den dunklen Capiteln des
Buches Daniel
die Ideen zur Bildung eines »heiligen Bundes« der europäischen Monarchen. Der fromme
Admiral
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