Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Schischkow
theilte seine Beschäftigung und setzte ihm eine ganze Darstellung der Kriegsbegebenheit aus Bibelstellen zusammen, bei deren Durchlesung sie mit andächtigem Herzen zusammen weinten. – Man sieht, es war nicht so sehr das Bedürfniß eines gottvertrauenden Gemüthes, welches zur Zeit der Noth in der Bibel Trost und Hülfe sucht, sondern ein religiöser Mysticismus, der sich des Kaisers in so hohem Grade bemächtigte und seine Gemüthsstimmung derart trübte, daß er sich mit thörichten Wahngebilden, als ob z.B. seine Nähe überall Unheil brächte, und dergleichen, herumschlug. Mitten im Kriegstumult bildete er in Petersburg eine Bibelgesellschaft, die sich bald über ganz Rußland ausbreitete. In dem Hauptcomité derselben befand sich ein Herr von
Vietinghoff
, ein Bruder jener bekannten
Frau von Krüdener
, die sich nun gerade in
dem
Augenblick an den Kaiser herandrängte, als Napoleon's Rückkehr aus Elba Alexandern auf's Neue in seine religiösen Schwärmereien stürzte.
Frau von Krüdener
, eine Kurländerin, gehörte zu jenen unruhigen, unbefriedigten Frauennaturen, die immer eine Rolle spielen, immer ein Aufsehen erregen müssen, und sich darum in jeder Attitude versuchen. Jung verheirathet, schon mit 14 Jahren, glänzte sie an den Höfen von Venedig und Kopenhagen, wie in Paris durch ihre theatralischen Künste, durch die damals so beliebten Shawltänze, wie die Darstellung lebender Bilder und phantastischer Kostüme. So verstand sie es immer, eine Schaar von Bewunderern um sich zu versammeln; die Leidenschaft, welche ein Gesandtschaftsattaché für sie faßte, gab ihr den Stoff zu einem Roman:
Valérie
, dessen Heldin sie natürlich selber war, und der seiner Zeit großes Aufsehen in der vornehmen Welt erregte. Nachdem sie alle Genüsse derselben durchgekostet, und ihre Ehe in Folge dessen getrennt worden war – ergab sie sich der Frömmigkeit wie dem Mysticismus, und verband sich in Deutschland mit
Jung Stilling
und dessen Anhängern. Natürlich fehlte dabei die äußere Komödie nicht;
Frau von Krüdener
empfing ihre Besucher gewöhnlich in einem schwarz ausgeschlagenen Zimmer; auf einem Altare brannten auch bei Tage Kerzen neben einem Todtenkopf, der auf gekreuzten Beinen ruhte und sie selbst erschien in schwarzen, schleppenden Gewändern mit einem großen Kreuze geziert. Diese eitle und phantastische Persönlichkeit war es nun, die sich jetzt für eine Weile Kaiser Alexander's fast ganz bemächtigte und dessen religiöse Schwärmereien nährte; auch hat sie später selbst behauptet, daß sie ihm die erste Idee zu der Bildung der heiligen Allianz eingegeben, was jedoch als vollständig unwahr bewiesen ist. Sie verstand es nur, diesen Gedanken weiter in ihm zu entwickeln, nachdem sie sich dem Kaiser zuerst durch Briefe an eine andere
Erleuchtete
, die diese Alexandern mittheilte, und in denen sie dunkle Stellen späterhin so deutete, als habe sie damit die Rückkehr Napoleon's geweissagt, näherte. Als dies Ereigniß nun wirklich eintraf, welches überdem nicht schwer zu prophezeihen war, stellte sie sich Alexander persönlich in Heilbronn vor, folgte ihm dann in's Hauptquartier nach Heidelberg, wo er das Pickford'sche Haus zur Wohnung wählte, weil sich in dem Garten zufällig ein Kreuz befand, und später auch nach Paris. Schon nannte man den Kaiser in seiner Umgebung einen »Messianischen Dictator«, einen »Engel der Engel« und nun begrüßte ihn
Frau von Krüdener
sogar als den »weißen Friedensengel«, den »Erwählten des Herrn«, der im Norden das neue Jerusalem gründen sollte, wo nur ein Hirt und eine Heerde sein werde! –
Ein Hirt und eine Heerde – dies war in der That das rechte Wort, um den fürstlichen Absolutismus des 18. Jahrhunderts neu zu beleben, ihn nach den furchtbaren Stürmen der französischen Revolution wieder in Scene zu setzen.
Was bei Alexander einer vorübergehenden Gefühlsschwärmerei entsprungen, wurde in der Hand kälterer Politiker eine neue Geißel zur Knechtung der Völker. Wie stimmte denn der Wortlaut der heiligen Allianz mit dem Vertrag von Kalisch überein, der den deutschen Ländern, namentlich
Preußen
, nach gewonnenem Siege
Repräsentativverfassungen
versprach, der ihnen zusagte, daß hinfort Volk und Fürst
gemeinschaftlich
auf Grund gegenseitig vereinbarter Gesetze das Wohl des Staates lenken sollten?
Am 26. September
1815 wurde nichtsdestoweniger im Namen der
heiligen Dreieinigkeit
zwischen Rußland, Oestreich und Preußen die
heilige
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