Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Professoren vertreten, denen man die Lehrfreiheit entzogen hatte, und die nun ihre Kenntnisse in der Tagespresse verwertheten. Selbst die ernsteren Wissenschaften wendeten ihre Spitze mehr und mehr gegen die orthodoxen und rechtsverletzenden Maßregeln der Regierungen. In der Person des berühmten
Victor Cousin
besaß Frankreich jetzt wieder einen Philosophen, der die Geister zum ernsten Studium und Nachdenken hinzuleiten wußte; ein
Eklektiker
, d.h. derjenigen philosopischen Richtung angehörend, die von jedem philosophischen Systeme das Beste herausnimmt und dieses Beste in Eins zusammenzufassen sucht, erklärte er seinen Hörern die Vorzüge und Nachtheile eines jeden Systems und indem er ihnen derart eine
Geschichte der Philosophie
erzählte, eröffnete er den Blicken eine weite Umschau, zeigte er, daß es nichts
Unfehlbares
hienieden gibt, und daß es die schönste Aufgabe des Wissens und Erkennens ist, die Toleranz im erhabensten und besten Sinne zu fördern. Dies vertrug sich freilich schlecht mit der kirchlichen Geistesverkrüpplung, welche die Jesuiten Frankreich aufzunöthigen suchten; schon 1822 wurde Cousin der Lehrstuhl entzogen, und nicht besser erging es dem berühmten Geschichtschreiber
Guizot
; auch bei ihm fand man daß seine Vorträge über neuere Geschichte nicht weniger als die Vorträge von Cousin im Widerspruch mit der Religion der Staatskirche ständen.
Guizot
kam nun auf den ähnlichen Gedanken wie
Stein
; er unternahm es, Quellen-Sammlungen zur französischen Geschichte, wie auch zur Geschichte der englischen Revolution, herauszugeben, wofür er wie Jener jüngere Genossen anregte, unter denen ich Ihnen vorzugsweise
Augustin Thierry
und dessen treffliche Geschichte der Eroberung
Englands
, bezeichne.
Als aber nach dem Sturze des Ministeriums Villèle, Guizot, Cousin und so vielen Mitverfolgten ihre Lehrstühle zurückgegeben wurden, da war es natürlich, daß sie ihre wissenschaftliche Sache jetzt zugleich als eine Sache der Freiheit, des Rechts, der Politik, der Oeffentlichkeit und Allgemeinheit betrachteten, und daß die regste Theilnahme und Bewunderung den Vorträgen folgte, die in solchem Sinn aufgefaßt waren. Dabei muß ich freilich bemerken, daß diese Lehrstühle meist am Collége de France befindlich waren, jenem berühmten Institut, welches dazu bestimmt war und noch ist, auch die allgemeinen Wissenschaften, neben der mittelalterlichen Einrichtung der Sorbonne, der eigentlichen Universität, zur Geltung zu bringen. Aber nicht Studenten allein, sondern Leute jeden Standes und Alters, auch Frauen, finden ungehindert Aufnahme in den Hörsälen des Collége de France, und dorthin strömte denn die wißbegierige Menge, um durch die geistige Speise die politische Lebenskraft zu nähren. – Selbst das damals so glänzend betriebene Studium der
Sprachwissenschaften
mußte dazu helfen, die Geister aufzuklären. Es war zu jener Zeit, wo
Champollion
die
Hieroglyphen
entzifferte, wo
Burnouf
die alte
Zendsprache
entdeckte und mit Hülfe derselben, sowie auch des
Sanskrit
die Keilschriften zu Ekbatana entzifferte, wo
Sacy
und
Remusat
, der Eine durch seine arabischen, der Andere durch seine Studien über Geschichte und Literatur der orientalischen Völker, auch diese, bis dahin noch unbekannten Regionen – die Sitten, die Anschauungen,
den Glauben
jener fremden Nationen erschlossen. – Wir ruhen heute mit unsern Anschauungen, unserer Erkenntniß so sicher auf der geistigen Arbeit jener Jahre, die sich bald nicht mehr auf Frankreich allein beschränkte, daß wir oft kaum uns daran erinnern, in welch kurzem Verlauf, von damals bis heute, die Wissenschaft den rothen Faden gesponnen, der jetzt das Fernliegendste mit einander verbindet, sowohl der Zeit, als dem Raume nach, und kaum vermögen wir uns noch vorzustellen, wie eng der Horizont gewesen, der vor kaum vierzig Jahren noch die Gedanken und Vorstellungen der Gebildeten umfaßte. Aber nicht in die Ferne allein richtete dieser so mächtig aufquellende französische Geist seinen Blick, nein, auch die jüngste Vergangenheit zog er unerschrocken in den Kreis seiner Betrachtungen. – Naturgemäß mußte die Napoleonische Literatur eine sehr bedeutende sein; sie ward es noch mehr nach des Kaisers Tode. Es drängten und verdrängten sich förmlich die Memoiren der Zeitgenossen, die Biographien, die Geschichten von Napoleons Kriegszügen und seiner Regierungszeit, endlich die Schriften über seine Gefangenschaft auf Helena, sowie die Herausgabe
Weitere Kostenlose Bücher