Deutsche Geschichte Von 1815-1870
seiner Briefe, Aufsätze u.s.w. Dies Alles mußte ein leidenschaftliches Interesse für den gefallenen Helden lebendig erhalten, und selbst in Deutschland gab es eine Zeit, wo man sich in diesen Napoleonischen Erinnerungen förmlich berauschte. Es wird heute, hier wie dort, unendlich unbefangener und kühler über Napoleon geurtheilt, als damals, wo doch die Erinnerungen an seine Bedrückungen noch so viel lebhafter gewesen sind, und man kann daran ermessen, wie gewaltig der Nimbus war, der ihn umgab. Von den historischen Darstellungen des Napoleonismus aber war nur noch ein Schritt zurück bis zur Geschichte der Revolution, und sie fand ihre glänzendsten Erzähler in
Thiers
und
Mignet
; des Letzteren treffliches Werk ist wohl heute noch eines der lesenswerthesten Bücher über jene merkwürdige Zeit. – Ich habe Ihnen nun mit Thiers einen Namen genannt, an dem nicht allzu rasch vorüberzugehen, mir die gegenwärtige Zeit zu gebieten scheint.
Adolf Thiers
, geboren 1797 zu Marseille, war der Sohn einer armen Familie, um so reicher aber an Geist und Wißbegierde; er hatte an der Rechtsschule zu Aix Jurisprudenz studirt, kam dann nach Paris und fand eine Stelle an dem
Constitutionnel
, einem der einflußreichsten Blätter jener Tage. So begann der merkwürdige Mann, ganz gewiß einer der merkwürdigsten dieses Jahrhunderts, seine Laufbahn als Journalist, und bald übte er einen entscheidenden Einfluß, nicht allein auf das genannte Blatt, sondern auf einen ganzen großen Theil der Presse aus. Nach kurzer Frist wurde ihm ein höheres Ziel gesteckt; der Verleger eines unfertig gebliebenen Werkes über die Revolution, forderte ihn auf, das Werk zu vollenden. Er begann die Studien, die zu solcher Aufgabe gehören, fing das unvollendete Buch von vorn wieder an, und es erschien seine
Geschichte der französischen Revolution
, so dargestellt, wie sie war – in ihrer Größe. ihrem Ergebniß für den Fortschritt der Menschheit, ihrem Erfolg für die Zukunft, dabei ihre Greuel weder leugnend noch beschönigend. Laut schrieen die Königlichgesinnten auf über diese Auffassung, aber die Jugend berauschte sich daran und noch kühner als
Thiers
vertrat dann Mignet, sein Freund und Studiengenosse, in seinem Werke über dasselbe Thema, die weltbefreiende
Idee
der Revolution, und zergliederte er an deren historischer Entwicklung, die zwingende Nothwendigkeit der Thatsachen, und der aus ihnen hervorgehenden Ereignisse. Diese Art der Geschichtschreibung war neu; sie lehrte das Uebergewicht der Dinge über die Willkühr des Einzelnen und in der lebhaftesten Weise zeigte sich ein Volk davon erfaßt, das zum Theil noch persönlich die Eindrücke jener Zeit miterlebt hatte. – So sehen wir das junge Frankreich auf allen Gebieten des Wissens in thätigster Arbeit, und wenn die Franzosen in prahlerischer Uebertreibung gerne behaupten, daß sie stets an der Spitze der Civilisation marschirt seien, so trifft dies für die eben geschilderte Zeit in der That im großen Ganzen zu, und es
ziemt uns
, die wir damals viel von ihnen gelernt haben, dies anzuerkennen. War nun somit den Gebildeten die reichste Nahrung geboten, so bemühte man sich auch, das Volk dem krassen Aberglauben zu entreißen, in dem die Priester es festzuhalten suchten. Der Pariser Verleger Touquet bot in einer Volksbibliothek »die Gottlosigkeit um den geringsten Preis« aus, indem er die wohlfeilsten Ausgaben von
Rousseau
und
Voltaire
drucken und in den Hütten verbreiten ließ. Massenhaft wurden diese Werke ausgestreut, die heute noch so sehr dem Klerus ein Dorn im Auge sind, daß erst noch 1873, in der französischen Kammer, die bekannte Volksbibliothek von Jean Macé angegriffen wurde, weil sie die nouvelle Héloise und den contrat social verbreite. – Touquet wurde angeklagt und verurtheilt, darauf drohten die Journale mit einem Massenabfall der Bevölkerung von dem Katholicismus. – Sie sehen, daß man mit allen Waffen gegen ein verhaßtes Regiment kämpfte und dazu gesellten sich dann noch bald die communistischen und socialistischen Fragen, die wiederholt in jenen geistbewegten Jahren anfingen, die Köpfe aufzuregen. Sie fanden ihre Hauptvertreter in
Jaques Fourier
und dem Grafen
St. Simon
, den Begründern des nach ihnen genannten
Fourierismus
und
St. Simonismus
. Abgeschmackt wie die Theorien dieser Männer auch vielfach waren, warfen sie doch eine weitgehende Gährung in die Gemüther; sie rissen den Schleier von einer Zukunftsfrage, die heute ohne Zweifel die
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