Deutsche Geschichte Von 1815-1870
wichtigste und schwierigste unserer zu lösenden Zeitaufgaben ausmacht. Unser Bild würde nicht vollständig sein, wenn wir nicht einen Augenblick bei diesen Anfängen verweilten, um so mehr als die erwähnten Theorien und Auffassungen, utopisch und unklar wie sie auch sind, doch ein besonderes Licht auf unsere gesellschaftlichen Zustände warfen, viele jugendliche Köpfe, namentlich in der kommenden Zeitperiode bewegten oder verwirrten, zugleich aber auch ganz neue Ideen anregten, die gegenwärtig zum Theil ihre praktische Ausführung gefunden haben. –
Chateaubriand hat einmal von seinen Landsleuten gesagt: »Es giebt in Frankreich wunderbar viel Geist, aber Kopf und gesunder Menschenverstand gebricht. Zwei Phrasen berauschen uns!«
Richtig wie dies die Franzosen charakterisirt, paßt es wohl auch ein wenig auf die ganze übrige Welt, und so hat man von Zeit zu Zeit von einem paradiesischen, aber unmöglichen Zustande geträumt, wo das Menschengeschlecht eine einzige große Familie bilden, Jeder so viel haben werde, um seine Bedürfnisse zu befriedigen und folglich keine Ungleichheit des Besitzes, oder des Standes mehr den gegenseitigen Neid werde erregen können. Wer möchte nicht gerne die Mittel und Wege auffinden, dieses schöne Ziel zu erreichen und Fourier wie St. Simon waren nicht die Ersten, die sie zu finden hofften. – Schon im grauen Alterthum hat man ja Versuche gemacht, eine Gleichheit des
Besitzes
herzustellen, bald durch gleiche Theilung des vorhandenen Ackergrundes, bald durch Gütergemeinschaft innerhalb gewisser Kreise. Unvereinbar damit ist natürlich ein staatliches Kulturleben, und nur auf der untersten Stufe der Civilisation können solche Zustände eine Weile bestehen; sobald durch das Steigen der Bedürfnisse eine Theilung der Arbeit eintritt und die naturgemäße Sonderung in Fleißige und Faule sich vollzieht, muß auch der Besitz wieder ein ungleicher werden, es sei denn, daß das Individuum aufhöre, als Solches zu existiren, daß es nur ein arbeitendes Glied für das Ganze sein solle, eine Form der Vergesellschaftung, die nicht neu ist und die ja in der verschiedenartigsten Weise vorkommt, ich darf z.B. nur an die Klöster erinnern, und an religiöse Secten, wie die Mormonen, die Shakers und Andere. Im Alterthum half man sich öfter durch neue Theilungen und Ausgleichungen – umsonst, die menschliche Gesellschaft durchlief die entsetzlichsten Phasen vom Mißbrauch des Besitzes, Leibeigenschaft, Sclaverei, Feudalherrschaft, bis der Zustand in der europäischen Welt ein vollständig unerträglicher geworden war, und die französische Revolution, indem sie Alles vor sich niederwarf, schon gleich bei ihrem zweiten Athemzuge, mit der Forderung von politischen Rechten auch den Anspruch erhob, nicht auf eine vollständige, aber doch
gleichmäßigere
Vertheilung der irdischen Güter. Mit Recht konnte man verlangen, daß nicht drei Viertheile der Menschheit darbten und theilweise ein dem Thiere verwandtes Dasein führten, während eine Minderzahl im übertriebensten Ueberfluß schwelgte. Man mußte auf Mittel und Wege der Abhülfe sinnen, man mußte sich bemühen die natürlichen Hülfsquellen eines Landes möglichst auszunutzen, die Steuern gleichmäßig zu vertheilen, und die daraus erwachsenden Mittel möglichst gerecht zum Besten des Landes und seiner Bevölkerung anzuwenden. Daraus erwuchsen zu Anfang des Jahrhunderts ganz neue, aber unendlich wichtige Wissenschaften; die
Staats- oder Nationalökonomie
, die dann im weiteren Verlaufe zu der Ausbildung der
Statistik
führte, weil nur durch Zahlen sich beweisen und feststellen läßt, wie groß die Bevölkerung eines Landes ist, was sein Handel, seine Industrie, sein Ackerbau erwirbt, und was dem Lande, wie dem Einzelnen davon wieder zu Gute kommt, oder kommen kann. Mit einem Worte, die
Statistik
ist der allein richtige Spiegel, durch den wir heute unsre gesellschaftlichen Zustände in ihrer ganzen Wirklichkeit erfassen und begreifen. –
So hat also die sociale Frage, die seit der französischen Revolution nicht mehr zur Ruhe kam, auch sociale Wissenschaften hervorgerufen und thut dies fortwährend noch, aber während deren Anfänge noch so zu sagen in der Wiege lagen, traten schon Männer auf, die im dunklen Drange die richtigen Wege zur Verwirklichung ihrer menschheitsbeglückenden Träume gefunden zu haben glaubten. Vorläufer der schon vorhin Genannten waren in Frankreich Robespierre, St. Just, Babeuf, und mit durch sie
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