Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Eheschließung in Frankreich bis zu einem gewissen Grade erklären läßt, aber doch im Allgemeinen sehr bald zu traurigen Mißverständnissen führte und führen mußte. Natürlich krönte Fourier sein System mit dem Versprechen eines unsäglichen Glückes, dessen die Menschheit dadurch theilhaftig werden müsse. Ganz zuletzt würden die Leidenschaften ein ungeheures Orchester von 800 Millionen Charakteren bilden und den Erdball in ein Paradies verwandeln, denn der Mensch, dem durch eine vollkommenere Ernährung und Lebensweise eine ganz andere
Gesundheit
zu Theil geworden wäre – auch eine Sache, die heute Niemand mehr bestreitet, – würde dann kein armer Erdenwurm mehr sein, sondern er werde selber, Gott den Weg zu einer besseren Schöpfung gewiesen haben. –
Weit klarer treten die Ideen St. Simon's in die Erscheinung. Von vornehmer Abkunft, reich, verschwenderisch hatte er nicht so sehr aus Genußsucht, denn mit Absicht alle Höhen und Tiefen des Lebens durchgekostet, um Alles kennen zu lernen; zuletzt sank auch er zur tiefsten Armuth hinab, that Schreiberdienste, lebte von Almosen, und endete an den Folgen eines mißglückten Selbstmordversuchs, mit den Worten: »Unser ist die Zukunft.« St. Simon griff als Hauptübel der Gesellschaft drei Dinge an:
die positive Religion, das persönliche Eigenthum, die Ehe
. – Auch er wollte zusammenwirkende Gesellschaften, mit gemeinschaftlichem Besitz, wendete aber sein Hauptinteresse
dem Gewerbe
, dem Arbeiter zu. Er stellte ein industrielles System auf und sprach dabei klar das folgenschwere Wort: »
das Recht auf Arbeit
!« aus, was Fourier auch gethan und es durch die Bibel begründet hatte: Gott habe den Menschen zur Arbeit verurtheilt, aber nicht zur Entbehrung der Arbeit! – Diese Hervorhebung der Arbeit war das
Gesunde und Reale
bei Beiden; die Plebs der Römer, und der Pöbel der französischen Revolution verlangten einst Brod und Spiele; sie verlangten jetzt für den Niedriggestellten und Armen Arbeit und für diese genügenden Lohn. Dieses Verlangen nach Arbeit, wenn auch anfänglich vielfach mißverstanden, wie wir später hören werden, ist seitdem so mächtig geworden, daß heute in allen civilisirten Ländern auch die Frauenwelt auf dem gleichen Standpunkte steht, und das Recht zu jeder Arbeit verlangt, für die sie sich befähigt gezeigt hat. – Noch fast im Moment seines Todes trat dann St. Simon mit einem neuen Evangelium auf, durch welches er das Gesetz der Bruderliebe predigte. Er sagte: »das evangelische: liebet einander! müsse künftig dahin lauten: die Religion solle die menschliche Gesellschaft zu dem großen Ziele der möglichst raschen Verbesserung des Looses der armen Klassen leiten.« Hier ist ein Satz, den wir gewiß Alle gerne mit unterschreiben und für dessen Verwirklichung wir Alle mitzuarbeiten gerne bereit sind: »Die Liebe«, das war das große Wort, an welches St. Simon die sittliche Wiedergeburt der Menschheit knüpfte. Wie er diese Ansicht nun systematisch ausarbeitete, welche Ausschreitungen er bezüglich des Verhältnisses beider Geschlechter zu einander, daran knüpfte, dies können wir hier nicht näher erörtern. – Es bildete sich um den excentrischen Grafen bald eine Schule, und eine St. Simonistische Gesellschaft, deren père oder oberster Leiter er wurde, und viele bedeutende Geister Frankreichs, auch Frauen, haben zu dieser Gesellschaft gezählt. Sie reinigte sich nach und nach von den Verirrungen ihres Stifters und bildete später vorzugsweise den Gedanken der Humanität und der gegenseitigen Unterstützung aus; als staatsgefährlich und religiös verboten und aufgelöst, existirte sie noch lange im Stillen fort, verbunden durch ein gleiches Streben, namentlich durch Unterstützung ihrer ärmeren Mitglieder, deren Kindern man eine zweckmäßige Erziehung zu geben und ihnen weiter fortzuhelfen suchte. Namentlich zeichneten sich die Frauen der Gesellschaft durch ihre Bildung, ihren Ernst und ihre Fürsorge für Andre aus.
Unter der Leitung einer edlen, aufopfernden Frau, der bekannten Madame Lemonnier, bildete sich ein Frauenverein: la prévoyance maternelle, der sich die Aufgabe stellte, mittellose Mädchen erziehen zu lassen und erwerbsfähig zu machen. Zu diesem Zwecke wurden in Paris die écoles professionnelles, oder die weiblichen Gewerbeschulen gegründet, deren es im Jahre 1870, unter der Präsidentschaft von Madame Jules Simon, fünf in verschiedenen Stadttheilen gab, und die sich seitdem immer mehr
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