Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
Vom Netzwerk:
Turnier ableitet – ist bekanntlich dem «Turnvater» Jahn zu verdanken. Mitten in den Napoleonischen Kriegen, als Preußen von Frankreich besetzt war, schuf Friedrich Ludwig Jahn 1811 in der Hasenheide zu Berlin seinen ersten Turnplatz. Mit durchschlagendem Erfolg; ein paar Jahre später gab es in Deutschland schon über hundert Turngemeinden, in denen Zehntausende «Turnbrüder» und «Turnschwestern» zusammenkamen, um sich körperlich zu ertüchtigen. «Frisch, fromm, fröhlich, frei – das ist des Turners Reichtum», schrieb Jahn 1816 in seiner Deutschen Turnkunst , der Bibel aller Turner. «Tugendsam und tüchtig, rein und ringfertig, keusch und kühn, wahrhaft und wehrhaft sei sein Wandel.» Er hüte sich vor den Lastern, als da sind: «Vergeuden der Jugendkraft durch entmarkenden Zeitvertreib, faultierisches Hindämmern, brünstige Lüste und hundswütige Ausschweifungen.» Wodurch? Durch allerlei turnlustige Übungen an Reck und Barren, am Schwebebalken und am Klettergerüst, beim Speerwurf und Kugelstoßen, beim Ringen und Turnspielen. Beim Schlängellauf, Zickzacklauf, Kibitzlauf, Sturmlauf. Beim Standsprung, Anlaufsprung, Freisprung und gewundenen Jungfernsprung. Aber auch beim Katzen-, Affen- und Heuschreckensprung – knöchelhoch, wadenhoch, schenkelhoch, hüfthoch, brusthoch, schulterhoch, kinnhoch, nasenhoch, augenhoch, stirnhoch oder scheitelhoch, je nach Vermögen und Kondition. Beim Hüpfen, Hocken, Hurten, Grätschen, Spreizen, Kreuzen und Heben. Bei der Wippe, Gaffel, Spille, Schraube und Kehre. Bei der Bauchfelge und der Kreuzbiege. Bei der Knie-, Sitz- und Burzelwelle. Beim Auf-, Unter- und Zwiegriff. Beim Knie-, Rist- und Fersenhang. Vorwärts, rückwärts und seitwärts. Aber er sollte dabei auch die «Turngesetze» beachten, neunundvierzig an der Zahl, angeschlagen am Schwarzen Brett. «Jeder, der Mitglied der Turngemeinschaft werden möchte, muss zuvor versprechen, der Turnordnung nachzuleben», heißt es im ersten. «Jeder soll nur in grauleinerner Turntracht auf den Turnplatz kommen», lautet das zweite. «Im Klimmel sowie innerhalb der anderen Klettergerüste darf niemand, besonders kein Schaulustiger stehen.» Das leuchtet ein. «Bei keiner Übung darf etwas Anderes gesprochen werden als was zur Sache gehört.» Und überhaupt: «Es soll kein Spiel ohne Erlaubnis unternommen werden.» «Deutschheit, Mannheit und Freiheit» – das waren die erklärten Ziele der Turner, aber auf dem Turnplatz sollte es geordnet zugehen.
    Die äußerliche Erscheinung von Turnvater Jahn entsprach wohl nicht ganz seinem Ideal der Keuschheit und Reinheit, wie aus den zeitgenössischen Beschreibungen hervorgeht. Besonderen Eindruck machte sein Auftritt auf dem Wiener Kongress, mit Bart, langen Haaren und in altdeutscher Tracht. «Bei dem Fürsten von Hardenberg», schreibt Varnhagen von Ense, «erschien er in seiner ganzen Turndeutschheit in gewohnter Lässigkeit des Anzugs, der Einzige in Stiefeln, und bei dem trockenen Wetter in kotigen, so dass man glauben konnte, er halte das zum Kostüm gehörig, und habe sich mühsam eigens beschmiert, wie Andere sich blank machen.»
    Zur «Turndeutschheit», dies darf nicht unterschlagen werden, gehörte auch die heilige Pflicht, «ein Deutscher Mann zu werden, um für Volk und Vaterland kräftig zu würken, unsern Urahnen den Weltrettern ähnlich». Für «Ausländerei» war hier kein Platz. Wofür aber stand die angerufene Freiheitstugend der Turner? Während der französischen Besatzung Preußens meinte sie die Freiheit von der französischen Fremdherrschaft. Mit der Ertüchtigung des Körpers sollte die Wehrtüchtigkeit Hand in Hand gehen. So kämpften in jenem Krieg, den man später Befreiungskrieg nannte, die Turner und Burschenschaftler Seite an Seite gegen Napoleons Truppen. Später, nach dem Wiener Kongress, als Ruhe wieder die «erste Bürgerpflicht» sein sollte, war damit vor allem die politische Freiheit gemeint: die Freiheit von obrigkeitlicher Willkür und Zensur. «Der Freiheit Wiege, dein Sarg, Tyrannei,/wird gezimmert aus dem Baume der Turnerei», erschallte es nun von den Turnplätzen. Als der Turner und Burschenschaftler Karl Ludwig Sand im März 1819 den Dichter und russischen Generalkonsul August von Kotzebue niederstach, wurden prompt auch die Turnvereine verboten – und Turnvater Jahn wegen «demagogischer Umtriebe» verhaftet. Sechs Jahre verbrachte er im Gefängnis, die «Turnsperre» sollte in Preußen bis ins Jahr 1842 gelten. Aber kein

Weitere Kostenlose Bücher