Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
«Arbeit», arubaito – das Japanische hat es als Lehnwort übernommen. Aber dort bedeutet es «Teilzeitarbeit» oder «Nebenjob». Sollte uns das nicht zu denken geben?
Eines der schönsten Plädoyers für die Faulheit in deutscher Sprache hat Georg Büchner geschrieben: das Lustspiel Leonce und Lena . Leonce, Prinz aus dem Königreich Popo, und Lena, Prinzessin aus dem Königreich Pipi, sollen einander heiraten, ohne dass sie sich auch nur einmal gesehen hätten. Beide ergreifen die Flucht, Leonce mit seinem Diener und Gefährten Valerio im Gefolge, «noch Jungfrau in der Arbeit» auch er. Unterwegs lernen Leonce und Lena einander kennen und lieben, ohne zu wissen, wen sie jeweils vor sich haben. Sie werden dann auch tatsächlich wider besseres Wissen vermählt, und Leonce malt seiner Braut die goldene Zukunft seines Reiches aus, in dem es kein Militär und auch keine Diplomaten geben soll: «Wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zählen Stunden und Monden nur nach der Blumenuhr, nur nach Blüte und Frucht. Und dann umstellen wir das Ländchen mit Brennspiegeln, dass es keinen Winter mehr gibt und wir uns im Sommer bis Ischia und Capri hinaufdestilliren, und wir das ganze Jahr zwischen Rosen und Veilchen, zwischen Orangen und Lorbeern stecken.»
Sein Gefährte Valerio springt ihm zur Seite: «Und ich werde Staatsminister und es wird ein Dekret erlassen, dass wer sich Schwielen in die Hände schafft unter Kuratel gestellt wird, dass wer sich krank arbeitet kriminalistisch strafbar ist, dass jeder der sich rühmt, sein Brod im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird, und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion!»
Freiheitsliebe
I n allen Nationen gibt es Kalendertage, die in besonderer Weise mit den Geschicken des jeweiligen Landes verbunden sind: Frankreich hat seinen 14. Juli, den Tag des Sturms auf die Bastille und des Beginns der Französischen Revolution; die USA haben ihren 4. Juli, den Tag der Unabhängigkeitserklärung, mit der sich die amerikanischen Kolonien vom Mutterland lossagten und sich den Namen «Vereinigte Staaten von Amerika» gaben; die Polen haben ihren 11. November, den Tag, an dem nach 123 Jahren der Teilung durch Österreich-Ungarn, Preußen und Russland der polnische Staat wiederauferstand. All diese Tage sind in den jeweiligen Ländern zu Nationalfeiertagen erhoben worden. Fragt man in Deutschland, welches Datum sich vor allem mit dem Schicksal des Landes verbindet, wird wohl fast jeder den 9. November nennen – jenen Tag, an dem in Berlin die Mauer fiel und die Diktatur der DDR und Deutschland seine friedliche Revolution erlebte. Jeder, der die Ereignisse dieses Herbstes bewusst miterlebte, erinnert sich noch heute da ran. Unvergesslich sind die Bilder der Freude und des Glücks von damals.
Der 9. November ist aber in Deutschland nicht zum Nationalfeiertag geworden, aus durchaus nachvollziehbaren Gründen: Wie die Schlangen um Laokoon und seine Söhne windet sich dieser Tag um Deutschland und seine Geschichte. Was geschah nicht alles an jenem Datum? Am 9. November 1848 löste König Friedrich Wilhelm IV. in Berlin die preußische Nationalversammlung auf; und am selben Tag wurde in Wien der Demokrat Robert Blum, gewählter Abgeordneter des Frankfurter Paulskirchenparlaments, standrechtlich erschossen. Es war der Tag, an dem die letzten Hoffnungen der demokratischen Revolution von 1848 zu Grabe getragen wurden. Am 9. November 1918 wurde in Berlin, nachdem Prinz Max von Baden den Thronverzicht Kaiser Wilhelms II. verkündet hatte, die Republik ausgerufen – und zwar gleich zweimal: die «deutsche Republik» von Philipp Scheidemann auf dem Balkon des Berliner Reichstags; und ein paar Stunden später die «freie sozialistische Republik» vom Führer des Spartakusbundes Karl Liebknecht im benachbarten Lustgarten. Scheidemann behielt zwar die Oberhand, doch zeit ihres Bestehens blieb die Weimarer Republik bedrängt von ihren Gegnern von links und rechts. Zu Letzteren gehörte auch der Gefreite Adolf Hitler, der am 9. November 1923 mit seinen versprengten Anhängern vom Bürgerbräukeller in München aus einen Putschversuch gegen die Republik unternahm, der kläglich scheiterte. Von da an war das Datum mit der dunkelsten Seite der deutschen Geschichte verknüpft: Als
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