Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
die Erde. Geben Sie/Gedankenfreiheit!»
Schiller hat aber auch – die Französische Revolution vor Augen – die Exzesse der Gewalt gesehen, in die die entfesselte Freiheit münden kann. So heißt es im Lied von der Glocke : «Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,/Der ruh’ge Bürger greift zur Wehr,/Die Straßen füllen sich, die Hallen,/Und Würgerbanden ziehn umher, Da werden Weiber zu Hyänen/Und treiben mit Entsetzen Scherz,/Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,/Zerreißen sie des Feindes Herz./Nichts Heiliges ist mehr, es lösen/Sich alle Bande frommer Scheu,/Der Gute räumt den Platz dem Bösen,/Und alle Laster walten frei.» Vielleicht ist mir, der ich in meiner Heimat Äthiopien eine Revolution mitangesehen habe, die ins blutige Chaos mündete, der Freiheitsdichter Friedrich Schiller auch deswegen so nah.
Die Freiheit darf niemals schrankenlos sein. Das wusste niemand besser als Goethe, der sich, anders als Schiller, niemals für die Französische Revolution erwärmen konnte, nicht einmal in ihrer Blütezeit. «Erlaubt ist, was gefällt», ruft Goethes Tasso aus, doch schon im nächsten Moment wird er zurechtgewiesen: «Erlaubt ist, was sich ziemt.» Zur Tugend der Freiheit gehört untrennbar die Pflicht zur Verantwortung – ohne einen moralischen Kompass geht es nicht. Die Instanzen, denen man sich als Mensch verantwortlich sieht, mögen verschieden sein, je nachdem. Für einen treuen Staatsbürger können es die Regierung und die Gerichte sein; für einen humanistisch erzogenen Menschen wird es die Ethik sein; für den gläubigen Menschen allerdings kann die Instanz, auf die es ankommt, niemand anders als Gott sein. Er weiß um die Freiheit und die Verpflichtung, die daraus entspringt, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat. Es ist der freie Wille des Einzelnen, sich dafür zu entscheiden, was gut und richtig ist.
Auf dem langen Weg zur Einheit der deutschen Nation im 19. Jahrhundert war der Wunsch nach politischer Freiheit untrennbar verbunden mit dem Wunsch nach politischer Einheit. Als August Heinrich Hoffmann im August 1841 auf der damals britischen Nordseeinsel Helgoland sein Lied der Deutschen dichtete, dessen dritte Strophe wir heute als Nationalhymne singen, verlieh er einer dreifachen Sehnsucht Ausdruck: der Sehnsucht nach Überwindung der deutschen Kleinstaaterei, der Sehnsucht nach einer parlamentarischen Verfassung und der Sehnsucht nach politischer Freiheit. «Einigkeit und Recht und Freiheit». Die politische Einigung kam dann dreißig Jahre später, wenn auch durch «Blut und Eisen», auf die politische Freiheit musste Deutschland bis ins 20. Jahrhundert warten. Die sozial demokratische Bewegung fügte dem Wunsch nach der Freiheit den Wunsch nach der Gleichheit der Lebensverhältnisse hinzu. Wenn die Freiheit, sich seiner Talente zu bedienen, mehr als ein frommer Wunsch sein soll, muss man dann nicht auch über die entsprechenden Ressourcen dazu verfügen? Um die Antwort auf die Frage, wie große materielle Unterschiede eine Gesellschaft zu tolerieren bereit ist, wird stets gestritten werden. Man sollte aber die Freiheit nicht gegen die Gleichheit ausspielen. Goethe hat auch hierzu das Nötige gesagt: «In der Gesellschaft sind alle gleich. Es kann keine Gesellschaft anders als auf den Begriff der Gleichheit gegründet sein, keineswegs aber auf den Begriff der Freiheit. Die Gleichheit will ich in der Gesellschaft finden; die Freiheit, nämlich die sittliche, dass ich mich subordinieren mag, bringe ich mit», schreibt er in seinen Maximen und Reflexionen . «Die Gesellschaft, in die ich trete, muss also zu mir sagen: ‹Du sollst allen uns andern gleich sein.› Sie kann aber nur hinzufügen: ‹Wir wünschen, dass du auch frei sein mögest›, das heißt: Wir wünschen, dass du dich mit Überzeugung, aus freiem, vernünftigem Willen deiner Privilegien begibst.» Einen freien Menschen wird man den nennen können, der sich aus freien Stücken bindet.
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Die Gedanken sind frei. Mit diesem Satz muss man sich behelfen in Zeiten und an Orten, wo es keine Freiheit der Meinung und der Rede gibt. In dem langen 19. Jahrhundert, in dem man in Deutschland um die politische Freiheit und Einheit rang, musste sich die Freiheitsliebe ihre eigenen Kanäle suchen. So kam es, dass diese manch denkwürdige, für Außenstehende überraschende Verbindung einging – etwa mit der Bewegung des Turnens.
Diese – wie auch das Wort selbst, das sich vom mittelalterlichen
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